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Mödlings ehemalige Synagoge - der Weg zum Mahnmal

Mödlings ehemalige Synagoge - der Weg zum Mahnmal

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1988 fanden sich Mödlingerinnen und Mödlinger auf dem Gelände der ehemaligen Synagoge ein, um der schrecklichen Ereignisse der Pogromnacht zu gedenken. Diese war in Mödling genauso wie in vielen Städten 50 Jahre zuvor ein trauriger Höhepunkt der Judenverfolgungen. Die Anwesenden gedachten des 9. November 1938, als das jüdische Gebetshaus vom Nazi-Pöbel zerstört und in Brand gesteckt wurde. Hunderte MödlingerInnen verfolgten das Ereignis neugierig und die Feuerwehr durfte nicht eingreifen.

Danach stand die Ruine in der Enzersdorfer Straße 4 jahrzehntelang versteckt hinter einer Mauer, und viele Menschen wussten nicht einmal, was sich dort befand. 1987 wurden die letzten Reste der Synagoge abgetragen. Auf dem Gelände entstanden, nachdem es von der Kultusgemeinde an die Stadtgemeinde verkauft worden war, eine Filiale der Bank Austria, Wohnungen und Geschäftsgebäude. Nur eine kleine, kaum sichtbare Metalltafel aus dem Jahr 1994 erinnerte daran, dass sich hier einst eine Synagoge befunden hatte. In deutscher und hebräischer Sprache bzw. Schrift war zu lesen:

Hier stand der nach Plänen von Architekt Ignaz Reiser erbaute und 1914 eingeweihte Tempel. Er wurde am 10. November 1938 in der sogenannten „Reichskristallnacht“ zerstört. Israelitische Kultusgemeinde Wien.

Die Gesellschaft für Kulturpolitik, deren Anliegen es unter anderem war und ist, geschichtliche Ereignisse des 20. Jahrhunderts und deren Wirkung auf die Gegenwart darzustellen, beschloss schließlich, sich um ein würdevolleres und sichtbareres Mahnmal zu bemühen. Als damalige Vorsitzende der Gesellschaft und SPÖ-Gemeinderätin brachte ich mit meiner Fraktion am 16.12.2000 einen Dringlichkeitsantrag auf Errichtung eines Mahnmals im Gemeinderat ein.

Nach der positiven Aufnahme des Antrages und einem entsprechenden Gemeinderatsbeschluss sorgten die Mitglieder der Gesellschaft gemeinsam mit dem Mödlinger Künstlerbund für die Ausschreibung des Mahnmals. Der Jury für die Vorauswahl gehörten unter anderem Johann Pleyer (Künstlerbund), Sylvia Unterrader, Werner Burg, Willi Muckenschnabel (Gesellschaft für Kulturpolitik) und Robert Karpfen (SPÖ-Kulturstadtrat) an. Als beratender Experte konnte Edelbert Köb, damaliger Direktor des MUMOK Wien, gewonnen werden.

Für den in Aussicht genommenen Aufstellungsort vor der Bank Austria waren in den folgenden Jahren zahlreiche Verhandlungen mit dem Grundeigentümer und Mietern, mit den Gemeinderatsparteien und mit der Jüdischen Kultusgemeinde, vertreten durch die Mödlingerin Ruth Fuchs, notwendig.

Im Juli 2002 wurde von der Stadtgemeinde ein Betrag von 200.000 Schilling (ca. 14.500 €) zur Finanzierung des Projekts beschlossen. Die anfängliche Idee, die am Gelände des Gymnasiums Untere Bachgasse aufgefunden Tore des ehemaligen Zaunes der Synagoge in das Mahnmal einzubinden, wurden jedoch zugunsten einer einfachen Form verworfen. Schließlich wurde der Künstler Karl Novak vom Mödlinger Künstlerbund mit der Herstellung des Objekts - einem geknickten Chanukka-Leuchter aus Metall auf einer kieselartig geschliffenen Basis aus schwarz-marmoriertem Wachauer Marmor - betraut. Die Skulptur des achtarmigen geknickten Leuchters symbolisiert die Verfolgung und Leiden der jüdischen Bevölkerung. Für die Bronzetafel des am 26. Oktober 2003 enthüllten Mahnmals entwarf die Gesellschaft für Kulturpolitik folgenden Text:

 

ZUM GEDENKEN an die von Architekt Ignaz Nathan Reiser erbaute und 1914 eingeweihte Synagoge, welche im Zuge der Novemberpogrome 1938 zerstört wurde,  sowie an die dreihundert vom Nazi-Regime vertriebenen oder ermordeten jüdischen Bürger und Bürgerinnen unserer Stadt. DEN OPFERN ZUM GEDENKEN - DEN LEBENDEN ZUR MAHNUNG!

Sylvia Unterrader

Der Beitrag basiert auf Material des Archivs von Werner Burg und der Gesellschaft für Kulturpolitik in Mödling.

 

Der Novemberpogrom 1938

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 initiierte Reichspropagandaminister Joseph Goebbels einen reichsweiten, gegen die jüdische Bevölkerung gerichteten Pogrom als „spontane Vergeltungsmaßnahme“ für ein auf einen deutschen Diplomaten in Paris verübtes Attentat. Im Verlauf des Pogroms, der nicht nur eine Nacht, sondern mehrere Tage dauerte, wurden Synagogen und Bethäuser in Brand gesteckt und verwüstet. Tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden, so sie nicht bereits in den Monaten vorher „arisiert“ oder ihre BesitzerInnen vertrieben worden waren, geplündert, zerstört und beschlagnahmt. Der von Staats- und Parteiführung angeordnete Pogrom bot den NS-Machthabern einen willkommenen Anlass zur Durchführung und Legitimierung der völligen Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben. Lange Zeit wurden die Ereignisse verharmlosend als „Reichskristallnacht“ bezeichnet.

Am 12. November 1938 wurde in einer Sitzung im Reichsluftfahrtsministerium unter dem Vorsitz Hermann Görings, dem Beauftragten für den Vierjahresplan, die "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" beschlossen, die Juden verbot, ein selbstständiges kaufmännisches Unternehmen bzw. Handwerk zu betreiben. Am 3. Dezember 1938 trat eine weitere Verordnung in Kraft, die einerseits die zwangsweise Schließung bzw. "Arisierung" noch bestehender jüdischer Betriebe sowie Juden gehörenden Grundbesitzes, andererseits die Deponierung von Bargeld, Wertpapieren und sonstigen Wertgegenständen auf Sperrkonten vorsah.

Hannes Weninger