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LAbg.a.D. Hans Karl Uhl

Eine #ZeitreiseExtra zum 40. Todestag von Hans Czettel

Hans Czettel wurde am 20. April 1923 in Wien geboren. Er wuchs mit seinen Geschwistern Maria, Anni und Adolf Czettel – späterer Wiener Gemeinderat, Abgeordneter zum Nationalrat und Präsident der AK Wien und des Österreichischen Arbeiterkammertages - in einem einfachen Arbeiterhaushalt in Sandleiten (Wien Ottakring) auf. Sein Vater Johann, Arbeiter bei der Wiener städtischen Müllabfuhr, wurde 1934 aufgrund seiner sozialdemokratischen Gesinnung inhaftiert. Wie er immer wieder betonte, hat seine Mutter Maria die Familie in den schwierigen Jahren der Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit gut über die Runden gebracht.

Nach Abschluss der Hauptschule stieg Hans mit 15 Jahren als Hilfsarbeiter im Textilbetrieb Amazone ins Berufsleben ein. Als „Spulerbub“ musste er die Spinnmaschinen mit Garn versorgen. Wie Prof. Ernst Zipperer in der Biographie „Das war Hans Czettel“ beschrieb, erlag damals auch der junge, im austrofaschisten Ständestaat aufgewachsene, Hilfsarbeiter der Faszination der Hitlerjugend als lebensbestimmende Staatsjugendorganisation. Während eines sogenannten Landdienstes in Thüringen begehrte er jedoch gegen Zwang und Drill auf, kehrte nach Wien zurück und absolvierte bei der Firma Simon eine Lehre als Maschinenschlosser.

1942 – mit 19 Jahren – wurde Czettel zur 44. Infanteriedivision der Wehrmacht einberufen und erlebte den mörderischen Russland-Feldzug in Stalingrad. Im Dezember 1943 wurde er mit schweren Erfrierungen in ein Lazarett ausgeflogen, wo ihm die Zehen beider Beine amputiert wurden.  Noch aber war für den jungen Menschen das Grauen nicht beendet. Trotz der Versehrtheit wurde er nach Dresden versetzt und erlebte dort das Bombardement der Stadt im Winter 1944/45. Sein Vater wurde kurz vor Ende des Krieges in Italien durch eine Granate getötet. Hans Czettel hat seine Mitgliedschaft in der HJ und der NSDAP nie geleugnet; diese wurde jedoch sowohl innerparteilich, als auch öffentlich und medial immer wieder thematisiert. Wieder als Schlosser bei der Firma Simon versuchte Hans der Familie beizustehen und auch selbst mit dem Leben einigermaßen zurechtzukommen.

1946 nahm der Schlosser Hans Czettel eine Stelle im verstaatlichten Stahlwerk der Firma Schoeller-Bleckmann in Ternitz an und übersiedelte in die Stahlstadt. 1949 heiratete er seine Frau Hilde, die er in der SJ kennengelernt hat. In der Sozialistischen Jugend und später als Bundesvorsitzender des SPÖ-Jugendwählerreferates „Junge Generation“ (1958 und 1961-1963) verdiente er sich erste politische Sporen.

Bezirksparteisekretär Otto Gerhartl (später LAbg. und Bürgermeister von Neunkirchen) und AKNÖ-Präsident Josef Fuchs förderten den interessierten Jungen und ermöglichten ihm den Besuch der Sozialakademie in Wien-Neuwaldegg. Bereits damals redigierte er die Manuskripte des „Neunkirchner Bezirksboten“ - das Schwarzataler Wochenblatt der SPÖ - und brachte die Unterlagen mit seinem Motorrad wöchentlich in die Vorwärts-Druckerei nach Wien (vgl. Zipperer, 1981). In seiner Heimatgemeinde engagierte er sich u.a. als Obmann des Siedlervereins, als Gemeinderat (1955 – 1960) und Betriebsrat im „Werk“. Während der jahrzehntelang als KP-Putsch bezeichneten Streikbewegung im Herbst 1950 kam es auch im Ternitzer Stahlwerk zu teilweise harten Auseinandersetzungen zwischen den kommunistischen Rollkommandos aus den Wiener Neustädter Rax-Werken und dem sozialistischen Werkschutzkomitee, bei denen der junge Betriebsrat Hans Czettel durch einen heftigen Schlag ins Gesicht eine schwere Kieferverletzung erlitt.

Am 18. März 1953 zog Hans Czettel, der mittlerweile zum Landesvorsitzenden der Sozialistischen Jugend NÖ gewählt wurde, als damals jüngster Abgeordneter in den Nationalrat ein. Bei der Nationalratswahl vom 22. Februar 1953 wurde die SPÖ unter Adolf Schärf zur stimmenstärksten Partei (42,11 %, 73 Mandate), blieb jedoch aufgrund der Wahlarithmetik in Mandaten hinter der ÖVP (41,26 %, 74 Mandate). Dem Nationalrat gehörte Czettel bis zum 14. Februar 1969 an. In den Landesparteivorstand der SPÖ Niederösterreich wurde er 1954 gewählt.

1964 geriet die SPÖ in der sogenannten „Olah-Krise“ in schwere Turbulenzen. Innenminister und ÖGB-Präsident Franz Olah hatte 1959 der „Kronen Zeitung“ Gewerkschaftsgelder zukommen lassen, um die Entstehung eines hoffentlich SPÖ-freundlichen Massenblattes zu begünstigen. Einige Jahre später organisierte er einen Geldfluss an die FPÖ, vermutlich um eine Weichenstellung in Richtung kleine Koalition vorzunehmen. Zudem wurde er verdächtigt, als Innenminister Geheimakten über politische Gegner angelegt zu haben.

Die Ereignisse rund um seine Abberufung als Innenminister und das Schiedsgerichtsverfahren mit Parteiausschuss gegen ihn, der Streik im Wiener E-Werk und die „Pro Olah“-Demonstrationen unter der Führung der Bau- und Holzarbeitergewerkschaft führten die SPÖ an den Rand einer Spaltung. Um ein Zeichen der Veränderung und der Beruhigung zu setzen, wurde der 41-jährige Hans Czettel am 21. September 1964 zum neuen Innenminister und damit zum Olah-Nachfolger angelobt. Diese Funktion behielt er bis zum Ende der großen Koalition am 19. April 1966.

Hans Czettel mit Bruno Pittermann, 1966

Als einen der ersten Schritte im Amt, zog der die sogenannten „Spitzel-Akten“ über eine große Zahl völlig unbescholtener BürgerInnen aus dem Verkehr. Krisen (Fussacher Demonstration gegen die Schiffstaufe „Karl Renner“, die Demonstrationen gegen den Nazi-Professor Borodajkewycz mit dem ersten politische Todesopfer der Zweiten Republik Ernst Kirchweger), Reformen (Bildungs-, Sozial- und Wohnprogramm für Exekutivbeamte, erste Kampagnen zur Verkehrssicherheit) und Erneuerungen z.B. zur Anwerbung neuer Polizei- und GendarmerieschülerInnen ging Czettel offensiv und menschlich an. Beispielsweise belohnte er erfolgreiche Dienststellen gerne mit Fernsehgeräten und kleinen Bibliotheken. Hans Czettel reformierte die Staatspolizei vor allem im Hinblick auf antidemokratische Strömungen, legte Wert auf eine wirksame Bekämpfung der Spionage und brachte ein neues Waffengesetz und den Ausbau des Asylrechtes auf den Weg. Als Innenminister auch für die österreichischen Gemeinden verantwortlich, war er vor allem aus seinen niederösterreichischen Erfahrungen von der Notwendigkeit der Demokratisierung der Bezirkshauptmannschaften überzeugt, ebenso wie von der Zusammenlegung von Kleinstgemeinden zu größeren und leistungsfähigeren Verwaltungseinheiten.

Nach der Niederlage bei der Nationalratswahl am 6. März 1966 (SPÖ: 42,56%, -1,44%, 74 Mandate), einer absoluten VP-Mehrheit und dem Gang in die Opposition brauchte die SPÖ eine inhaltliche und personelle Erneuerung.

1967 zeichnete sich in der SPÖ ein notwendiger Führungswechsel ab. Nach einer heftigen parteiinternen Diskussion über geeignete Nachfolgekandidaten für Bruno Pittermann wurde Kreisky am Bundesparteitag vom 30.1. bis 1.2.1967 zum Bundesparteiobmann der von der Olah-Krise und der Wahlniederlage 1966 geschwächten Partei gewählt. Bruno Kreisky war seit dem Wiener Neustädter Landesparteitag der SPÖ Niederösterreich am 4. und 5. Juni 1966 als Nachfolger von Ernst Winkler auch Landesparteiobmann der SPÖ Niederösterrreich. Diese Funktion übergab er nach seiner Wahl zum Bundeparteiobmann am 6. Februar 1967 an Dr. Otto Tschadek.

Eigentlich sollte 1967 der große alte Mann mit der meisten Reputation, Karl Waldbrunner, an die Spitze der Bundespartei treten. Doch er schlug das Angebot aus gesundheitlichen Gründen aus. Daraufhin versuchten Bruno Pittermann und wesentliche Teile der sozialistischen Gewerkschafter vergeblich den Niederösterreicher Hans Czettel zum Parteichef zu machen.

Am 29. Jänner 1967 schrieb die Arbeiter-Zeitung: „Beim sozialistischen Parteitag, der morgen Montag beginnt, wird bekanntlich die Frage des Parteivorsitzenden zur Debatte stehen. Dr. Pittermann hält eine in der letzten Parteivertretung abgegebene Erklärung aufrecht, dass er seine Kandidatur für die Funktion des Parteiobmannes zurückzieht und an seiner Stelle den stellvertretenden Klubobmann Hans Czettel nominiert.“ Den Parteitagsdelegierten empfahl dann Pittermann am 30. Jänner gleichfalls, Czettel zum Parteivorsitzenden zu wählen.

Hans Czettel meldet sich in der Debatte zum Wort: „Ich fühle mich verpflichtet, dem Parteitag mitzuteilen, dass ich gestern dem Vertreter Niederösterreichs im Vierzehnerausschuss, dem Genossen Tschadek, folgende schriftliche Erklärung für die Verhandlungen während der Nacht mitgegeben habe: Mir wurde die konkrete Frage gestellt, ob ich für den Fall, dass der Parteitag aus einer festgefahrenen Situation einen Ausweg sucht und mich zum Parteivorsitzenden wählen sollte, eine solche Berufung annehmen oder ablehnen würde. Ich habe darauf geantwortet, dass ich bis jetzt jeden, der mich für diese Funktion in Erwägung stellte, ersucht habe, von derartigen Vorschlägen Abstand zu nehmen. Selbstverständlich stehe ich noch immer auf diesem Standpunkt. Sollte aber in einer besonders kritischen Situation unserer Partei der Parteitag auf Grund eines Antrages des neugewählten Parteivorstandes eine derartige Entscheidung treffen, so werde ich dasselbe tun, was jeder ernstdenkende Funktionär in dieser Situation tun müsste, nämlich eine solche Berufung nicht ablehnen.

Ich habe aber betont, dass diese grundsätzliche Bereitschaftserklärung nicht als Kandidatur weder gegen den Genossen Dr. Pittermann noch gegen den Genossen Dr. Kreisky aufgefasst werden dürfe. Nachdem Genosse Dr. Pittermann erklärt hat, dass er wünsche, für die Funktion des Parteivorsitzenden nicht mehr in Erwägung gezogen zu werden, möchte ich sagen, dass ich auch nicht in der Lage bin, Gespräche über mich als Kandidatur gegenüber dem Genossen Kreisky anzusehen. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich weder eine politische noch eine persönliche Ursache habe, in dieser letzten Phase als ein Gegenkandidat des Genossen Kreisky gewertet zu werden."

Hans Czettel hat die Einordnung als Gegenkandidat zu Bruno Kreisky sein Leben lang beschäftigt.  Czettel wurde im Juni 1966 zum stellvertretenden Klubvorsitzenden der SPÖ-Parlamentsfraktion gewählt und profilierte sich als harter Oppositionsredner. Als Stv. Bundesparteivorsitzender und später als Landesparteiobmann der SPÖNÖ stand er stets solidarisch hinter Kreisky. Bruno Kreisky war seit dem Wiener Neustädter Landesparteitag der SPÖ Niederösterreich am 4. und 5. Juni 1966 als Nachfolger von Ernst Winkler Landesparteiobmann. Diese Funktion übergab er nach seiner Wahl zum Bundeparteiobmann am 6. Februar 1967 an Dr. Otto Tschadek. Aber bereits ein Jahr später kam es auch in Niederösterreich zum Generationswechsel. Beim Landesparteitag am 11. Mai 1968 in Schwechat wurde Hans Czettel mit 337 von 346 abgegebenen Stimmen zum Vorsitzenden gewählt und sein baldiger Wechsel in die Funktion des Landeshauptmann Stv. und Klubobmann vereinbart. Dieser erfolgte nach dem Tod von Tschadeks mit seiner Angelobung am 13. Februar 1969. Der damaligen Landesregierung Andreas Maurer 1 gehörten von der SPÖ auch die Landesräte Emil Kuntner und Otto Rösch an.

In seinen Funktionen als Landeshauptmann Stv. und Landesparteivorsitzender bereiste Hans Czettel Tag für Tag das Land und war dabei wie kaum ein anderer nahe bei den Menschen. Sein Wirken im und für sein Bundesland kann in diesem Beitrag aus Platzgründen nur kursorisch beschrieben werden. Als Naturschutzreferent des Landes initiierte er ein modernes Naturschutzgesetz, Naturparks und ein neues Grundverkehrskonzept. Umweltschutz und Lebensqualität sollte auch den Gemeinden ein Anliegen sein. Mit finanzieller Unterstützung des Landes animierte er als Gemeindereferent die Dörfer und Städte vor allem an den Straßenrändern mehr Bäume zu pflanzen. In seiner Funktion als Baurechtsreferent brachte er das NÖ-Kinderspielplatzgesetz, das erste in Österreich, auf den Weg.

Mit seiner Idee der Partnergemeinden initiierte er die Zusammenarbeit wirtschaftlich schwächerer Gemeinden mit wohlhabenderen Kommunen. Die Seniorenaktion „Urlaub von der Einsamkeit" kam in vielen Fällen Menschen zu Gute, die damit überhaupt zum ersten Mal in ihrem Leben in der Lage waren, ein paar Tage Urlaub zu machen. Die Förderung der sozialen Dienste wurde im neuen Sozialhilfegesetz verankert.

Mit der Kommunalstrukturreform wird Czettels Name bis heute verbunden. In einer Struktur von 1.652 Gemeinden sah die SPÖ nicht nur Hindernisse in der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch demokratiepolitische Hemmnisse u.a. in Form von „feudalen Dorfreichen“, die das Leben im Dorf bestimmten. Um das Ziel von nur mehr 550 Gemeinden zu erreichen war vor Ort viel Überzeugungsarbeit für die notwendigen Fussionsbeschlüsse erforderlich. So wuchs St. Pölten bis in das Traisental, „Groß“-Amstetten entstand ebenso, wie Zwettl als nunmehr flächenmäßig größte Gemeinde Niederösterreichs. Aber auch in kleineren Gemeinden pochten viele Ortsteile noch lange Zeit auf ihre historische Bedeutung (z.B. Würflach, Hettmannsdorf und Wolfsohl – pers. Anmerkung des Autors). Am 3. November 1972 sanktionierte der Landtag mit der Verabschiedung des Kommunalstrukturverbesserungsgesetzes auch formell die Zusammenlegungen. Um den Modernisierungsschub der Gemeinden zu unterstützen, wurde der Gemeinde-Investitionsfonds zum Ausbau der Wasserver- und entsorgung, Müllbeseitigung etc. geschaffen. Um aus bisherigen „Gemeindeschreibern“ bürgernahe Beamte zu machen, wurde die Kommunalakademie ins Leben gerufen. Analog zur Demokratisierung auf Gemeindeebene wollte Czettel statt der zu hundert Prozent von der ÖVP gestellten Bezirkshauptleute „Kommunale Bezirksparlamente“ mit freigewählten Präsidenten. Diese Forderung ist bis heute offen.

Mit dem „NÖ Plan“ präsentierte die SPÖ Niederösterreich ein landespolitisches Konzept, dass auf Anregung Bruno Kreiskys unter Mitwirkung dutzender ExpertInnen 1968 fertig gestellt wurde. Die Idee dazu bot der “Hessen-Plan” der SPD. Der NÖ-Plan, visionär und praktizierbar zugleich, wurde zum Landesprogramm der sozialistischen Bewegung Niederösterreichs schlechthin. Ziel dieses Konzeptes und des 1973 überarbeiteten „Neuen NÖ-Plan“ war es, in allen Landesteilen möglichst gleich gute Lebensverhältnisse zu schaffen. So wurde die Grenzlandhilfe geschaffen, ein umfassendes Schulbauprogramm umgesetzt und der Bau leistbarer Genossenschaftswohnungen auch im ländlichen Raum forciert.

Der NÖ-Plan zum Nachlesen (hier)

Der neue NÖ-Plan:

Dem Betriebsrat aus dem Stahlwerk war die wirtschaftliche und industrielle Entwicklung ein Herzensanliegen. Da er sich in der ÖVP-dominierten Landespolitik oft mit „agrarisch, kleingewerblich oder gar zünftlerischen Ansichten“ konfrontiert sah, setzte er hierbei auf die Unterstützung des Bundes und eilte von Firma zu Firma, um mit der Belegschaft und den UnternehmerInnen die wirtschaftliche und soziale Situation persönlich zu besprechen.

Er war nicht nur im persönlichen Gespräch offen, interessiert und überzeugend, sondern auch ein brillanter Redner im Landtag und bei Parteiveranstaltungen, der komplexe Zusammenhänge gut verständlich erklären konnte. Zu seiner bis heute ungetrübten Beliebtheit - und zu seinen gesundheitlichen Problemen - trug sicherlich bei, dass er nahezu rund um die Uhr im Land unterwegs war. Gerne blieb er nach dem Ende einer Mitgliederversammlung noch bei seinen Leuten sitzen, plauderte oder holte die Gitarre, um noch ein bisschen aufzuspielen. Überhaupt fand er in der Kunst seine zweite Leidenschaft – er malte, dichtete, komponierte, spielte Gitarre und Klavier. Sein Marschlied „Servus Niederösterreich“ wurde nicht nur zu einer regionalen Parteihymne, sondern auch zu einer Kennmelodie im Rundfunk. Ich erinnere mich als damals junger Trompeter gut daran, wie Hans Czettel seine Komposition meinem Großvater und Kapellenmeister Josef Peichl für das Jugendblasorchester der VEW Ternitz übergab und wir damit stolz in der Ternitzer Stadthalle auftraten.

Nach einem halben Jahr als Landeshauptmannstellvertreter im Amt ging Czettel als SPÖ-Spitzenkandidat in die Landtagswahl am 19. Oktober 1969 und gewann mit 44,59 % der Stimmen 25 Mandate (+1). Mit starken Rückenwind aus dem Bund wurde die SPÖ in elf Bezirken stärkste Partei. Der deutliche SPÖ-Trend auch in Landgemeinden setzte sich auch bei den Nationalratswahlen 1970 und 1971 – mit der erstmaligen absoluten Mehrheit für die SPÖ - fort. Der Landesregierung Andreas Maurer 2 (ÖVP) gehörten neben LHStv. Hans Czettel seitens der SPÖ die LandesrätInnen Otto Rösch bzw. Anna Körner (Wechsel am 8. Mai 1970) und Leopold Grünzweig an.

Bis zur nächsten Landtagswahl hat sich Österreich verändert. Bei der Nationalratswahl am 1. März 1970 erreichte die SPÖ bei einer Wahlbeteiligung von über 90 Prozent 48,42 Prozent (+5,86) und 81 Mandate (+7). Kreisky bildete eine Minderheitsregierung und setzte in der kurzen Regierungszeit eine Reihe von populären und längst überfälligen Reformen um: Die Wehrdienstzeit wurde auf sechs Monate verkürzt. Die Aufnahmeprüfung an den AHS fiel. Die Schülerfreifahrt wurde eingeführt. Eine Lohn- und Einkommenssteuerreform wurde umgesetzt. Familienrechtlich kam es zur gesetzlichen Gleichstellung von unehelich geborenen Kinder. Im Zuge der „Kleinen Strafrechtsreform“ wurden die Homosexualität bei Erwachsenen sowie Ehebruch straffrei gestellt. (s.h. ZeitreiseExtra / Die Ära Bruno Kreisky).

Für die ÖVP – vor allem in Niederösterreich - war es unvorstellbar, erstmals nicht mehr den Bundeskanzler zu stellen. Als eine von vielen Querschüssen und Gegenreaktionen organisierte der Bauernbund am 19. März 1971 einen „Bauernaufstand“. Mit, nach eigenen Angaben, 7.000 Traktoren zogen Landwirte aus Niederösterreich in die Bundeshauptstadt, wo sich weitere angeblich 10.000 Bäuerinnen und Bauern auf dem Ballhausplatz gegen die hohen Dieselpreise und für eine Erhöhung der Preise für Milchprodukte protestierten. Der wahre politische Hintergrund ist noch heute auf der Homepage des NÖ-Bauernbundes nachzulesen: „Von 1970 bis 1981 trat ein bisher unvorstellbarer Fall ein: Die Sozialisten erreichten unter ihrem Parteichef Bruno Kreisky eine absolute Mehrheit und stellten in den Folgejahren auch die Landwirtschaftsminister.“ Standhaft vermittelte die SPÖ jedoch, allen voran den Bergbauern und den Klein- und Nebenerwerbslandwirten, dass sie mit den Arbeitern mehr gemeinsame Interessen haben, als mit den Funktionären der Agrarbürokratie.

Die Nationalratswahl am 10. Oktober 1971 war die erste nach der von SPÖ und FPÖ beschlossenen Wahlrechtsreform. Die Abgeordnetenzahl wurde von 165 auf 183 erhöht und kleine Parteien im Unterschied zum vorhergehenden System bevorzugt. Die SPÖ erreichte 50,04 Prozent der Stimmen, 93 Mandate und somit die absolute Mehrheit.

Der Rückschlag bei der NÖ-Landtagswahl am 9. Juni 1974 traf Hans Czettel zutiefst persönlich. Die SPÖ blieb zwar mit einem Verlust von 0,72 Prozent stabil (43,87 %), musste aber ein Mandat an die ÖVP abgeben. Zum neuerlichen Triumph Kreiskys bei der Nationalratswahl am 4. Oktober 1975 konnte die Landespartei einiges beitragen und blieb in Niederösterreich mit 48 % nur 0,1 % hinter der ÖVP.

Für sein Ziel, die Sozialdemokratie auch in Niederösterreich zur stärksten politischen Kraft zu machen, mobilisierte und modernisierte Czettel die Partei. Zu den legendären „Heimattreffen“ reisten tausende UnterstützerInnen aus dem ganzen Land an und mit „Jugendparlamenten“ und der im wesentlichen von der SJ getragenen Plattform „Jung sein in NÖ“ erreichte die SPÖ junge WählerInnen wie nie zuvor.

Wie strukturell der von der ÖVP beinhart durchgesetzte Konservativismus im Land gepflegte wurde, widersprach Czettels demokratiepolitischen Empfinden zutiefst. So sparte er auch am 5. Oktober 1978 anlässlich der Beschlussfassung der neuen Landesverfassung nicht mit Kritik an den Zuständen in seinem Heimatland: „Die Forderung nach mehr Demokratie, das ist die Hoffnung, die wir an das heute zu beschließende Gesetzeswerk knüpfen. Verfassungsrechte in einer republikanischen Demokratie, meine Damen und Herren, sind Menschenrechte, und wenn der heutige Beschluß zu einer Vermenschlichung der Politik in Niederösterreich führt, haben wir gute Arbeit für Niederösterreich und seine Bevölkerung geleistet.” ( Protokoll der Landtagssitzung mit der Rede Hans Czettels)

Im Frühling 1979 wurde die Sozialdemokratie auf Bundes- und Landesebene so stark wie nie zuvor. Bei der Landtagswahl am 25. März 1979 kam die SPÖNÖ bis auf ein Mandat an die ÖVP heran und bei der Nationalratswahl am 6. Mai 1979 erreichte die SPÖ ihr historisch bestes Ergebnis. Das starke Abschneiden der Sozialdemokraten mit über 51% und 95 Mandaten (+2) überraschte insofern, als Kreisky davor die Zwentendorf-Volksabstimmung verlor, an die er eigentlich sein politisches Schicksal gebunden hatte. Die SPÖ-Wahlkämpfe 1979 standen unter dem Motto „Der österreichische Weg in die Achtzigerjahre“ und stellte die Erhaltung der Arbeitsplätze ins Zentrum. Kreiskys berühmter Ausspruch, dass "mir ein paar Milliarden mehr Schulden weniger schlaflose Nächte bereiten, als ein paar hunderttausend Arbeitslose mir bereiten würden“, fiel in diesen Tagen. Die SPÖNÖ überholte bei dieser Nationalratswahl die ÖVP um mehr als 10.000 Stimmen und kam auf 48,4 Prozent (ÖVP 47,3%).

Im Landtagswahlkampf 1979 schoss sich die ÖVPNÖ voll auf Kreisky ein und rückte landespolitische Themen an den Rand. Man glaubte, Czettel größtmöglich schaden zu können, in dem man an Kreisky kein gutes Haar lies. Czettel nahm diesen Ball geschickt auf, kritisierte das absolutistische Gehabe der ÖVP im Land und formulierte die tatsächlichen Themen für das Land: Sichere Arbeitsplätze bei ausgewogen günstigen Lebensbedingungen in allen Landesteilen; Demokratie in allen Bereichen, damit sich niemand als Untertan fühlen muss und Verhältnisse, die eine verwirklichte Menschlichkeit gewährleisten, ein soziales Klima, das auch Bedürftigen und Vereinsamten zum Vorteil gereicht. „Niederösterreich muss ein Hoffnungsland der Jungen werden“, forderte er im Wahlkampf. Ein besonderes Anliegen für die Jugend war ihm die Aufwertung der manuellen Tätigkeit. Als ehemaliger Schlosserlehrling schwebte ihm ein “Abitur der Facharbeit” vor.

Der Wahlerfolg von Hans Czettel und seiner SPÖ bei der Landtagswahl am 25. März 1979 ist legendär und rührt noch heute viele MitkämpferInnen von damals. Die SPÖ gewann 2 Mandate (45,39 %, +1,52%) und kam damit historisch knapp an die ÖVP (-2 Mandate, -2,5%). Der Stimmenunterschied machte nur mehr 37.723 Stimmen aus. Der neue Mandatsstand im NÖ-Landtag betrug 29:27. Der Landesregierung Andreas Maurer 4 gehörten für die SPÖNÖ bis zu seinem Tod LHStv. Hans Czettel, Leopold Grünzweig (ab 9. Oktober 1980 als LHStv.), Ernest Brezovszky und ab dem 9. Oktober 1980 Ernst Höger als Landesrat an. Klubvorsitzende waren Josef Leichtfried (1979-1980) und Hermann Lechner (1980-1987), Franz Binder wurde neuerlich im Amt des 2. Präsidenten bestätigt.

Im Landtag verschlechterte sich zunehmend das politische Klima. Statt den Wählerwillen zu akzeptieren, schaltete die knappe VP-Mehrheit auf stur. So wurde beispielsweise ein Antrag der SPÖ zur Sicherung von Arbeitsplätze ignorant niedergestimmt. Da auch in der Personalpolitik nicht die geringste Kompromissbereitschaft seitens der ÖVP bestand, setzte die SPÖ deutliche Zeichen und lehnte z.B. bei den Verhandlungen zum Budget 1980 die entsprechenden Voranschlagsteile ab.

Hans Czettels Rastlosigkeit und sein immenses Arbeitspensum blieben leider nicht ohne gesundheitliche Folgen. Bereits mit 51 Jahren erlitt er im Präsidentschaftswahlkampf mit Dr. Rudolf Kirchschläger einen ersten Herzinfarkt. Warnungen und Ratschläge schlug er mit „mir geht’s gut“ stets aus und hielt seinen intensiven Arbeitstakt weiter hoch. Dramatisch – und vielleicht auch symptomatisch – war Czettels zweiter Herzinfarkt 1979. Beim Landesparteitag der SPÖNÖ 1979 in Wiener Neustadt wurden die Delegierten informiert, dass der Vorsitzende in der Nacht ins Krankenhaus Neunkirchen eingeliefert wurde. Leopold Grünzweig fiel als Ersatz für das Hauptreferat aus, da seine Gattin verstorben war. So verlas NR DDr. Hans Hesele das Manuskript der von Czettel vorbereiteten Parteitagsrede vor den schockierten Parteitagsdelegierten. Der Landesparteitag telegraphiert Hans Czettel ins Krankenhaus: „Teilen Dir mit, dass Du einstimmig zum Landesparteiobmann wiedergewählt wurdest."

Czettels Krankenzimmer im Krankenhaus und während seiner Reha in Hochegg wurden rasch wieder zum Büro, Sprechzimmer und Empfangsraum. Auf Mahnungen der Ärzte und Ratschläge seiner Freunde, dass er nun Ruhe geben muss, reagierte er im April 1980 in einem Interview mit den Niederösterreichischen Nachrichten: „Ich bleibe auf alle Fälle. Es ist ja bei mir so, dass ich nicht allzu viele politische Funktionen ausübe. Ich bin kein Gschaftlhuber, aber ich habe mich bei den Dingen, die ich gemacht habe, wahrscheinlich über Gebühr eingesetzt.“

Mit etwas Schonung, aber einem bald wieder vollen Terminkalender erklärte er in seinem letzten AZ-Interview am 13. September 1980 seine Vorstellungen zur Sauberkeit in der Politik und wie er politische Mehrheiten für die „Partei der linken Mitte“ durch Zusammenarbeit mit der jungen Generation der Agrarier und mit fortschrittlichen Christen gestalten will.

Den viel zu frühen und tragischen Tod von Hans Czettel am 27. September 1980 beschrieb AZ-Redakteur Prof. Ernst Zipperer in seinem Buch „Das war Hans Czettel“ (Anm.: gekürzt): In den Morgenstunden des 28. September 1980 hätten tausende sozialistische Vertrauensleute in ihren Gemeinden die „Zeitung am Sonntag" der SPÖ austeilen sollen. Gegen Mitternacht lies Landesparteisekretär Max Strache jedoch die Druckmaschinen stoppen und die FunktionärInnen, die in allen Bezirken frühmorgens auf die Lieferungen warteten, schnellstmöglich vom Abbruch informieren. Die Nachricht vom Tod Hans Czettels verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch das Land.

Am 27. September 1980 war Hans Czettel noch als Referent beim Landestag des Bundes sozialistischer Akademiker in Wiener Neustadt. Am Nachmittag fuhr er nach Hause nach Ternitz. Sein plötzlicher Tod in Folge eines dritten Herzinfarktes erschütterte die Familie, die Partei und das Land.

Die Republik, das Land und seine Bewegung nahmen in Anwesenheit des Bundespräsidenten bei den Trauerkundgebungen in Wien Abschied vom Landeshauptmannstellvertreter. Nach Trauersitzungen der Landesregierung, des SPÖ-Landesparteivorstandes und des Landtages fand der Trauerakt am Wiener Minoritenplatz statt. Die SPÖ sagte ihm in der Ternitzer Stadthalle und am Friedhof Ternitz Lebewohl. Als der Sarg aus der Halle hinausgetragen wurde, heulten die Sirenen „seines Stahlwerkes“. An der Spitze des Trauerzuges schritten hinter den nächsten Angehörigen sämtliche Mitglieder der Bundesregierung. Im Stadtfriedhof sprachen Bruno Kreisky und Leopold Grünzweig. Ich habe an diesem 1. Oktober 1980 meinen Zivildienst beim Roten Kreuz Neunkirchen angetreten und bekam am ersten Tag problemlos dienstfrei, um im Blauhemd mit der SJ am Begräbnis unseres ehemaligen Landesvorsitzenden teilnehmen zu können. Auf dem Grabstein, der später gesetzt wurde und an dem wir regelmäßig einem großen Sozialdemokraten gedenken, steht einfach und schlicht „Hans Czettel".

Hannes Weninger, September 2020

 

Beiträge von FreundInnen und WegbegleiterInnen in "Erinnerungen an Hans Czettel" erinnerungen_an_hans_czettel_.pdf