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Zeitreise in die Ära Bruno Kreisky

"Ein Stück des Weges gemeinsam gehen"

Bruno Kreisky prägte Österreich wie kaum ein anderer Politiker. In der Ära Kreisky wurde Österreich zu einem modernen Industrie- und Sozialstaat – demokratisch, liberal und weltoffen. Die Ära Kreisky ist geprägt von einer Vielzahl sozialdemokratischer Reformen. Wesentliche Eckpunkte seiner Politik waren die Modernisierung der Gesellschaft und die Humanisierung der Arbeitswelt. Der Modernisierungsschub, der von Bruno Kreisky initiiert wurde, prägt Österreich bis heute. Das Wirtschaftsprogramm der SPÖ sicherte Österreich lange Zeit Vollbeschäftigung. Auch wurden unter Kreisky eine Reihe längst überfälliger Justiz- und Bildungsreformen vor allem für Frauen und Familien durchgeführt. Kreisky war außerdem ein leidenschaftlicher Außenpolitiker, der Österreich internationales Ansehen verlieh.

Von der Opposition zur Staatspartei

Nach der Niederlage bei der Nationalratswahl am 6. März 1966 (SPÖ: 42,56%, -1,44%, 74 Mandate), einer absoluten VP-Mehrheit und dem Gang in die Opposition brachte Bruno Kreisky neuen Schwung in die Partei. Mit Wirtschaftskompetenz, eines von 1.400 Experten ausgearbeiteten „Reformprogramms für ein modernes Österreich“ und einer neuen Weltoffenheit wurden neue junge und weibliche Wählerschichten für die SPÖ gewonnen. Die Sozialdemokratie rückte in die politische Mitte, positionierte sich als liberale und moderne Kraft und suchte zudem die Verständigung mit der katholischen Kirche. Kreisky punktete unter anderem mit dem 1969 initiierten Volksbegehren zur 40 Stunden-Woche und dem Versprechen für eine Wehrdienstreform („Sechs Monate sind genug!“).

Die Wahlniederlage von 1966 hatte vielfältige Gründe. Einerseits lag über der Wahl der Schatten der sogenannten Olah-Krise. Der Innenminister und ÖGB-Präsident Franz Olah hatte 1959 der Neuen Kronen Zeitung Gewerkschaftsgelder zukommen lassen, um die Entstehung eines SPÖ-freundlichen Massenblattes zu begünstigen. Einige Jahre später organisierte er Geldflüsse an die FPÖ, um eine Weichenstellung in Richtung kleine Koalition vorzunehmen. Zudem wurde er verdächtigt, als Innenminister Geheimakten über politische Gegner angelegt zu haben. Die Auseinandersetzungen endeten schließlich mit dem Parteiausschluss Olahs, der daraufhin bei der Nationalratswahl 1966 mit seiner eigenen Liste „Demokratisch-Fortschrittliche Partei – DFP“ antrat. Diese verpasste zwar den Einzug in das Parlament, kostete aber mit Sicherheit der SPÖ Stimmen. Dazu kam eine Wahlempfehlung der KPÖ, von der sich die SPÖ scheinbar nicht ausreichend distanzierte. Dies hatte - auch im Lichte der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 - die umstrittene „Eisenstädter Erklärung“ vom Oktober 1969 zur Folge.

Führungswechsel und Repolitisierung der SPÖ

1967 zeichnete sich in der SPÖ ein notwendiger Führungswechsel ab. Nach einer heftigen parteiinternen Diskussion über geeignete Nachfolgekandidaten für Bruno Pittermann wurde Kreisky am Bundesparteitag vom 30.1. bis 1.2.1967 zum Bundesparteiobmann der von der Olah-Krise und der Wahlniederlage 1966 geschwächten Partei. Bruno Kreisky war seit dem Wiener Neustädter Landesparteitag der SPÖ Niederösterreich am 4. und 5. Juni 1966 als Nachfolger von Ernst Winkler Landesparteiobmann. Diese Funktion übergab er nach seiner Wahl zum Bundeparteiobmann am 6. Februar 1967 an Dr. Otto Tschadek. Eigentlich sollte der große alte Mann mit der meisten Reputation, Karl Waldbrunner, an die Spitze treten. Doch er schlug das Angebot aus gesundheitlichen Gründen aus. Daraufhin versuchten Bruno Pittermann und wesentliche Teile der sozialistischen Gewerkschafter vergeblich den Niederösterreicher Hans Czettel zum Parteichef zu machen.

Ein Stück des Weges mit der SPÖ

Während sich die „68-Bewegung“ unter anderem gegen den „Mief der Vergangenheit“, gegen die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ und gegen den Vietnamkrieg auflehnte, trimmte Kreisky die SPÖ zu einer modernen Partei. Er erkannte die Stimmung der Zeit, in der sich die Jugend für die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, Frieden und Demokratisierung von unten engagierte, aber sich auch gegen eine rigide, meist konfessionell geprägte Sexualmoral auflehnte.

Unter dem neuen Vorsitzenden Bruno Kreisky wurden die Weichen der Partei in mehrfacher Hinsicht neu gestellt. Bis zum historischen Wahlsieg 1970 hatte der neue Bundesparteivorsitzende eine grundlegende Modernisierung des Parteiprogramms und eine Öffnung der Partei gegenüber neuen Wählerschichten durchgezogen. Dieser Weg wurde nun im großen Stil fortgesetzt. "Besser wohnen, besser leben, bessere Bildung, besseres Gesundheitswesen, bessere Justiz", waren Kreiskys Ziele. Intellektuellen, kritischen Denkern, durchaus auch jenen, die der SPÖ skeptisch gegenüberstanden, bot er für dieses Ziel an, "ein Stück des Weges" mit ihm zu gehen.

Von großer Bedeutung für den SPÖ-Wahlsieg waren auch das telegene Auftreten des späteren „Medienkanzlers“ Kreisky vor allem in den legendären TV-Konfrontationen (TV-Duell: Klaus – Kreisky / 28.1.1970), ein moderner Wahlkampf mit Werbespots und Testimonials, sowie der Einsatz der empirischen Sozialforschung durch das IFES mit Karl Blecha als Direktor. Erstmals wurden Zielgruppen, Slogans, Werbemittel erforscht und die sogenannte „Sonntagsfrage“ gestellt.

Die ÖVP spielte im Wahlkampf abermals mit der Angst vor den Sozialisten und plakatierten Josef Klaus als „echten Österreicher“, als eine Anspielung auf die jüdische Herkunft von Oppositionsführer Kreisky.

Bei der Nationalratswahl am 1. März 1970 erreichte die SPÖ bei einer Wahlbeteiligung von über 90 Prozent 48,42 Prozent (+5,86) und 81 Mandate (+7). Den zweiten Platz belegte die ÖVP mit 44,69 Prozent und 78 Mandaten. Die FPÖ erreichte 5 Prozent und 6 Mandate.

Die SPÖ-Minderheitsregierung 1970

Noch in der Wahlnacht trafen Kreisky und FPÖ-Chef Friedrich Peter zusammen. Kreisky brachte in diesem nächtlichen Gespräch die Idee ein, dass die Kleinparteien benachteiligende Wahlrecht zu reformieren. Die mit der ÖVP geführten Koalitionsverhandlungen scheiterten letztlich an der Ressortverteilung. Die SPÖ bildete daraufhin eine von der FPÖ geduldete Minderheitsregierung Kreisky I. Doch nicht nur Kreiskys Kooperation mit dem Ex-SS-Obersturmführer Friedrich Peter war umstritten. Seinem ersten Kabinett gehörten als Minister ehemalige Nationalsozialisten an. Neben den drei Landwirtschaftministern Johann Öllinger, Oskar Weihs und Günther Haiden hatten auch Innenminister Otto Rösch, Bautenminister Josef Moser und Verkehrsminister Erwin Frühbauer eine NS-Vergangenheit. Der Popularität Kreiskys tat dies jedoch keinen Abbruch. (ORF Radio: Regierungserklärung im Parlament)

In der kurzen Regierungszeit setzte die SPÖ eine Reihe von populären und längst überfälligen Reformen um: Die Wehrdienstzeit wurde auf sechs Monate verkürzt. Die Aufnahmeprüfung an den AHS fiel. Die Schülerfreifahrt wurde eingeführt. Eine Lohn- und Einkommenssteuerreform wurde umgesetzt. Familienrechtlich kam es zur gesetzlichen Gleichstellung von unehelich geborenen Kinder. Im Zuge der „Kleinen Strafrechtsreform“ wurden die Homosexualität bei Erwachsenen sowie Ehebruch und -störung straffrei gestellt.

Für die ÖVP war es unvorstellbar, erstmals nicht mehr den Bundeskanzler zu stellen. Als eine Gegenreaktion organisierte der Bauernbund am 19. März 1971 einen „Bauernaufstand“. Mit, nach eigenen Angaben, 7.000 Traktoren zogen Landwirte aus Niederösterreich in die Bundeshauptstadt, wo sich weitere angeblich 10.000 Bäuerinnen und Bauern auf dem Ballhausplatz gegen die hohen Dieselpreise und für eine Erhöhung der Preise für Milchprodukte protestierten. Der wahre politische Hintergrund ist noch heute auf der Homepage des NÖ-Bauernbundes nachzulesen: „Von 1970 bis 1981 trat ein bisher unvorstellbarer Fall ein: Die Sozialisten erreichten unter ihrem Parteichef Bruno Kreisky eine absolute Mehrheit und stellten in den Folgejahren auch die Landwirtschaftsminister.“ Standhaft vermittelte die SPÖ jedoch, allen voran, den Bergbauern und den Klein- und Nebenerwerbslandwirten, dass sie mit den Arbeitern mehr gemeinsame Interessen hätten, als mit den Funktionären der Agrarbürokratie.

1971: SPÖ erringt absolute Mehrheit

Die Nationalratswahl am 10. Oktober 1971 war die erste nach der von SPÖ und FPÖ beschlossenen Wahlrechtsreform. Die Abgeordnetenzahl wurde von 165 auf 183 erhöht und kleine Parteien im Unterschied zum vorhergehenden System bevorzugt. Die SPÖ erreichte 50,04 Prozent der Stimmen, 93 Mandate und somit die absolute Mehrheit.

Die SPÖ-Werbelinie für die Neuwahlen im Oktober 1971 stellte die bisherigen Leistungen der Regierung Kreisky in den Mittelpunkt und kündigte weitere Verbesserung des Sozialstaates und eine Modernisierung Österreichs an, wenn die WählerInnen „Kreisky und sein Team“ weiterarbeiten ließe. Speziell das liberale Lager wurde aufgefordert „ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen“.

Die Reformtätigkeit der Regierung Kreisky II war atemberaubend (Regierungserklärung im ORF-Radio am 5. November 1971). Im Bereich des Bildungssystems kam es zu grundlegenden Veränderungen: Kostenlose Schulbücher, der Ausbau der Schülerbeihilfen und die Einführung des Oberstufenrealgymnasiums als Umstiegsmöglichkeit nach Abschluss der Hauptschule sollten für mehr Chancengleichheit sorgen. Die Klassenschülerhöchstzahl wurde gesenkt. Die Lehrpläne der Hauptschulen und der Unterstufe der AHS wurden angeglichen. Erstmals versuchte man behinderte Kinder in die Volksschulen zu integrieren. Die Wahl von Klassen- und Schulsprechern sowie Elternvertretern demokratisierte das Bildungswesen nachhaltig. Erfolgreich war die sozialistische Schulpolitik vor allem bezüglich der Gleichstellung der Geschlechter. Die Anzahl der Gymnasiastinnen und Studentinnen stieg signifikant. Chancengerechte Bildung für möglichst alle Menschen – unabhängig von Einkommen und Herkunft haben ganzen Generationen den Weg zu mehr und besserer Bildung geöffnet.

Im neu geschaffenen Ministerium für Gesundheit und Umweltschutz führte Primaria Ingrid Leodolter den an die Geburtenbeihilfe gekoppelten Mutter-Kind-Pass ein, welcher einen deutlichen Rückgang der Kindersterblichkeit zur Folge hatte. Zugleich versuchte sie erstmals das Bewusstsein für Vorsorgeuntersuchungen zu schaffen.

Die von Justizminister Christian Broda durchgeführte Familienrechtsreform war ein entscheidender Schritt zur rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau. Die bis dahin geltende Stellung des Ehemanns als Oberhaupt der Familie wurde abgeschafft und die Gleichberechtigung der Frau in der Ehe festgelegt. Zum innenpolitischen Streitpunkt der „Großen Strafrechtsreform“ wurde die lange überfällige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Gegner und Befürworter des Abtreibungsparagrafen 144 gingen gleichermaßen auf die Straße, Kreisky fürchtete um die Aussöhnung der Sozialdemokratie mit der katholischen Kirche – doch die Frauen in der SPÖ, unterstützt von Justizminister Christian Broda, setzten sich durch. Am 1. Jänner 1975 trat ein neues Strafgesetz in Kraft, das den Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate straffrei stellte. Gleichzeitig wurde das Karenzgeld stark erhöht und ein noch höheres für alleinstehende Mütter eingeführt. (mehr)

Kreiskys primäres Ziel war es, die Lebensumstände der Menschen zu verbessern und Armut zu bekämpfen. Für Kreisky stand fest, dass Erwerbstätigkeit und Vollbeschäftigung dafür die Grundlage bilden. Seine Politik führte dazu, dass erstmals eine breite und stabile Mittelschicht in Österreich heranwuchs.

“Ein paar Milliarden mehr Schulden bereiten mir weniger schlaflose Nächste als hunderttausend Arbeitslose.” Dieser berühmte Ausspruch Bruno Kreiskys kennzeichnete seine Wirtschaftspolitik. Durch staatliche Aufträge, hauptsächlich in die Infrastruktur, wurde verstärkt Nachfrage erzeugt und die Wirtschaft angekurbelt werden. Die Rechnung ging auf: Die Ära Kreisky wurde zu einem Synonym für Vollbeschäftigung und für die Humanisierung der Arbeitswelt (Generalkollektivvertrag zur 43-Stunden-Woche (1970), die 40 Stunden-Woche (1975), Mindesturlaub erhöht, Sozialleistungen für Arbeitnehmer deutlich ausgeweitet, Pensionserhöhungen, Bergbauernförderung, Entgeltfortzahlung, neues System der Sozialhilfe statt der veralteten Fürsorgebestimmungen etc.).

Die Kreisky-Jahre waren auch eine folgenreiche Zeit für die Frauenpolitik. Vor allem die Reformen im Strafrecht und im Familienrecht verbesserten die Situation der Frauen in der österreichischen Gesellschaft entscheidend und passten das Recht an die gesellschaftlichen Entwicklungen an. Die Neugestaltung des Karenzgeldes, die Institutionalisierung der Frauenpolitik, Durchsetzung der Fristenlösung, das Gleichbehandlungsgesetz und der Mutter-Kind-Pass gelten als Meilensteine. (Familienrechtsreform der 70er Jahre). Ein neues Parteiengesetz, die Errichtung politischer Akademien (für die SPÖ das Dr. Karl Renner-Institut) und ein Volksgruppengesetz seien ebenso erwähnt, wie die von Bruno Kreisky aktiv betriebene österreichische Friedens- und Außenpolitik, die unserem Land über Jahrzehnte große internationale Reputation einbrachte.

Kreiskys internationale Vernetzung

Der Tatsache, dass Kreisky ein begnadeter und engagierter Außenpolitiker war, ist es zu verdanken, dass Österreich in der Weltpolitik eine anerkannte Rolle spielte und sich die Sozialistische Internationale (SI) wieder als ernstzunehmende Parteienfamilie etablieren konnte.

Kreiskys Bemühungen um eine Friedensordnung für den Nahen Osten entsprangen der Erkenntnis, dass der Konflikt um Israel und Palästina die Stabilität und den Frieden in Europa und in der ganzen Welt gefährdet. Kreiskys Anliegen im Nahost-Konflikt war es daher, zwischen Führern der arabischen Welt und israelischen RegierungsvertreterInnen zu vermitteln. Dies gelang ihm nicht zuletzt aufgrund einer offensiven Neutralitätspolitik, die ihm in Ost und West Glaubwürdigkeit verlieh.

Gemeinsam mit Willy Brandt und Olof Palme engagierte sich Kreisky für die Entspannung des Nord-Süd Konflikts, suchte persönlichen Kontakt zu den RepräsentantInnen der damals so benannten „Dritten Welt“, gründete das Wiener Institut für Entwicklungsfragen und machte Wien der dritte Standort des UNO-Sekretariats. Bei der 1979 in Wien tagenden Nord-Süd-Kommission plädierte er dafür, die großen wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern zu verringern und engagierte sich für eine positive ökonomische Entwicklung der Dritten Welt. Eine aktive Nachbarschafts- und Friedenspolitik, sein Engagement für die Autonomie Südtirols und sein Streben nach einer europäischen Integration waren weitere Kennzeichen seiner Außenpolitik.

Willi Brandt, Olof Palme und Bruno Kreisky (24.5.1975)

Österreich wurde in der Ära Kreisky weltoffener und internationaler. Politiker aus aller Welt trafen in der Alpenrepublik zusammen. Während die Tagung der Sozialistischen Internationale und der Besuch Indira Gandhis positiv gesehen wurden, führte der Aufenthalt des US-Präsidenten Richard Nixon 1972 zu Protesten. Eine groß angelegte Demonstration, die sich gegen den von den USA geführten Vietnamkrieg richtete und an der auch Kreiskys Sohn Peter beteiligt war, zeigte eine sich neu etablierende Protest- und Zivilgesellschaft.

Dass Österreich entgegen der päpstlichen Feststellung keine „Insel der Seligen“ war, bewiesen auch der Terrorakt in Schönau und der OPEC-Überfall in Wien. Seit 1965 wurden sowjetische Juden mit dem Emigrationsziel Israel in Schloss Schönau untergebracht. 1973 entführten palästinensische Terroristen drei jüdische Emigranten und einen österreichischen Zöllner und forderten die Schließung des Durchgangslagers und das Ende der Transitrolle Österreichs. Bruno Kreisky gab nach und ermöglichte den freien Abflug der Terroristen. Die Geiseln kamen frei. Hinter den Kulissen sorgte der Kanzler jedoch dafür, dass die Flüchtlinge weiterhin einen sicheren Ort in Österreich auf ihrem Weg nach Israel fanden. Kreiskys Handeln rief international – vor allem in den USA und in Israel – Proteste hervor. Drei Tage später reiste die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir nach Wien, um Kreisky von der Schließung Schönaus abzubringen. Kreisky blieb bei seiner Entscheidung, sicherte aber zu, die Transitfunktion Österreichs für sowjetische Juden weiterhin aufrechtzuerhalten.

Zwei Jahre später, am 21. Dezember 1975, verübte eine radikale Splittergruppe unter der Führung von Ilich Ramírez Sánchez – bekannt unter dem Namen „Carlos“ – einen blutigen Anschlag auf das Wiener Hauptquartier der OPEC, der Organisation Erdöl exportierender Länder. Elf Erdölminister und deren Mitarbeiter wurden in Geiselhaft genommen, drei Menschen getötet. Nach Freilassung der österreichischen Geiseln konnten die Terroristen mit den restlichen Geiseln nach Algier fliegen. Dort erlangten auch diese Geiseln ihre Freiheit wieder. Kreisky Vorgehen stieß auch in diesem Fall auf Israels Kritik. (Pressekonferenz von Bundeskanzler Bruno Kreisky zum OPEC-Überfall am 21.12.1975)

Trotzdem war Kreisky auf israelische Initiative hin zum Leiter einer „Fact Finding Mission“ der Sozialistischen Internationale in den Nahen Osten berufen worden, die 1974 stattfand. Die Delegation europäischer Sozialisten sollte Bedingungen, die zu einer friedlichen Lösung der Nahostfrage führen könnten, finden. Im Zuge dieses Unternehmens traf Kreisky erstmals mit Ägyptens Staatspräsident Anwar as-Sadat und dem Palästinenserführer Jassir Arafat zusammen. Zwei weitere „Fact Finding Missions“ sollten folgen. 1975 trafen US-Präsident Gerald Ford und Ägyptens Staatsoberhaupt Anwar as-Sadat zu einer von Kreisky vermittelten Unterredung in Salzburg zusammen. Mit den folgenden Nahostgesprächen in Wien zwischen Kreisky, Brandt und Arafat versuchte er sich weiterhin in der Rolle des Friedensvermittlers im Nahen Osten.

Parteiprogramm 1978 und SPÖ-Mitgliederrekord

Die Kreisky-Jahre waren auch für die interne Entwicklung der Partei eine erfolgreiche Zeit. Am Höhepunkt ihres Erfolges im Jahr 1979 hatte die SPÖ 721.262 Mitglieder und damit den höchsten Stand in ihrer Geschichte. Auch im internationalen Vergleich war eine solche Organisationsstärke einer politischen Partei für ein demokratisches Land geradezu beispiellos. Nach mehrjährigen Vorarbeiten verabschiedete die SPÖ 1978 ein neues Parteiprogramm „für den Rest des Jahrhunderts“, das jenes von 1958 ablöste. Dadurch sollte die sozialistische Programmatik an das Reformwerk der Kreisky-Jahre angepasst werden. Auf Initiative Kreiskys wurde darin ein gutes Verhältnis zwischen Sozialdemokratie und Kirche festgehalten. Gleichzeitig sollten die längerfristigen Ziele der Sozialdemokratie nicht aus den Augen verloren werden. Programmatische Leitlinie des Programms war die „soziale Demokratie“.

In einem langen und intensiven Diskussionsprozess versuchte die Sozialdemokratie, neue Inhalte und eine organisatorische Modernisierung und Öffnung der SPÖ mit den programmatischen Traditionen der Partei zu verbinden. Auch im Grundsatzprogramm von 1998 blieb die Perspektive einer die Klassengegensätze überwindenden künftigen Gesellschaft aufrecht. Dabei wurde explizit ein friedlicher Weg zu diesem Ziel im Ideal einer humanen, demokratischen und gerechten Gesellschaft vorgeschlagen. Die klare Betonung der repräsentativen Demokratie, das Bekenntnis zum Rechtsstaat und die Ablehnung von Gewalt trennte die Sozialdemokratie von politisch radikalen Modellen kommunistischer Prägung und den Totalitarismen des "Realsozialismus". Neben den klar ausformulierten Grundwerten Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität ging es der Sozialdemokratie vor allem um ausdifferenzierte und pragmatische politische Perspektiven in unterschiedlichen politischen Bereichen: So wurden Wohlfahrtsgesellschaft, Frauen-, Forschungs- und Umweltpolitik, ein modernes Staatsverständnis, Bildung und Medien sowie die Europäische Union eingehend thematisiert. Das Selbstverständnis der Sozialdemokratie wurde dabei grundlegend mit dem Prinzip der demokratischen Erneuerung verbunden.

Starke Frauen und skeptischer Kanzler

Im Zuge der Einführung der Fristenlösung wurde heftig über das Selbstbestimmungsrecht der Frauen diskutiert. Obwohl ÖVP, FPÖ und die katholische Kirche die Fristenlösung vehement ablehnten und ein 1975 von der „Aktion Leben“ initiiertes Volksbegehren 896.579 UnterstützerInnen fand, wich die SPÖ nicht von ihrer Linie ab. Kreisky fürchtete um die Aussöhnung der Sozialdemokratie mit der katholischen Kirche – doch Justizminister Christian Broda und die SPÖ-Frauen setzten sich durch.

Vor dem Hintergrund einer immer breiter werdenden neuen Frauenbewegung wurde allmählich feministisches Gedankengut in die sozialistische Frauenorganisation getragen und vor allem die Fristenlösung parteiintern heftig diskutiert.

Die noch in der Regierungsvorlage von 1971 vorgesehene Indikationenlösung (Schwangerschaftsabbruch nur bei medizinischer Indikation erlaubt) wurde von den SPÖ-Frauen zugunsten der Fristenlösung (Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten 12 Wochen der Schwangerschaft straffrei) erst nach heftigen Debatten zwischen Parteibasis und Parteispitze, zwischen älterer und jüngerer Generation, in der SPÖ durchgesetzt. Kreisky fürchtete eine Spaltung in der Gesellschaft, einen Konflikt mit der katholischen Kirche und eine Wahlniederlage („Ich weiß zwar, wie man Wahlen gewinnt, ich weiß aber auch, wie man sie verliert, und jetzt bei dieser Abtreibungssache schaut es ganz danach aus.“).

1973 stimmte der Nationalrat mit den Stimmen der SPÖ gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ dem Antrag zur Fristenregelung zu und beschloss sie, nach einem Veto des Bundesrates, am 23. Jänner 1974. Somit konnte die Fristenregelung am 1.1.1975 in Kraft treten. Bruno Kreisky hatte mit seiner Befürchtung, die Fristenregelung sei ein unpopuläres Thema und könnte den Wahlausgang für die SPÖ negativ beeinträchtigen, nicht Recht behalten: Die SPÖ erlebte 1979 den größten Wahlerfolg ihrer Geschichte und wurde laut Umfragen auch wegen der Einführung der Fristenlösung (wieder)gewählt.

Krisen, Konflikte und „granteln“

Die Ära Kreisky war jedoch keineswegs frei von Krisen, Konflikten und harten politischen Auseinandersetzungen – parteiintern, mit den politischen Gegnern und gegenüber neu entstehenden Bewegungen.

Der Ortstafel-Konflikt

Im Juli 1972 beschloss die SPÖ-Mehrheit im Parlament gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ ein Gesetz, das die Aufstellung von zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten in all jenen Orten verfügte, in denen sich bei der Volkszählung 1961 mindestens 20 Prozent der Einwohner zur Umgangssprache Slowenisch bekannt hatten („Ortstafelgesetz“). Nach der Aufstellung der zweisprachigen Ortstafeln kam es im Oktober 1972 zum so genannten „Ortstafelsturm“ in Kärnten, bei dem gewalttätige Gruppen die zweisprachigen Tafeln abmontierten. Die Auseinandersetzung um eine korrekte Umsetzung des Art. 7 des österreichischen Staatsvertrages – der sogenannte „Ortstafelkonflikt“ – wurde immer wieder angeheizt und erst 2011 durch ein Verfassungsgesetz gelöst.

Die Ölpreis-Krise

Nachdem die Organisation der arabischen Erdöl exportierenden Staaten (OPEC) die Industriestaaten mit einer Senkung der Rohölfördermengen und einer dadurch verbundenen Ölpreiserhöhung um das rund vierfache von ihrer Unterstützung Israels anlässlich des Jom-Kippur-Krieges abbringen wollten, wurden auch in Österreich Maßnahmen zur Linderung der Ölpreiskrise gesetzt: Ein Tempolimit von 100 km/h, die Drosselung der Temperatur in Amtsräumen auf 20 °C, eine autofreier Tag pro Woche (mit „Pickerl“ an der Windschutzscheibe) und eine Woche „Energieferien“ – die es als Semesterferien bis heute gibt.

Kreisky vs. Androsch

Die durch den Ölpreisschock ausgelöste Wirtschaftskrise bekämpfte Kreisky mit einer Beschäftigungspolitik, die unter anderem mit erhöhten Staatsschulden finanziert wurde. Der Kampf um die Sicherung der Arbeitsplätze war stets das erklärte Ziel Bruno Kreiskys gewesen, der mahnend an die Folgen der Not der Dreißigerjahre erinnerte. Sein junger Finanzminister Hannes Androsch zog anfangs mit, schaltete aber bald auf einen Hartwährungskurs, der den Schilling fortan an die Deutsche Mark band und somit den „Alpendollar“ stabil halten sollte.

Der Konflikt Kreisky-Androsch hatte aber mehrere und tiefgründigere Ursachen. Den Vorschlag der „SPÖ-Kronprinzen“ Leopold Gratz und Hannes Androsch, Kreisky könnte 1974, nach dem Tod von Franz Jonas, das Amt des Bundespräsidenten übernehmen, lehnte der Kanzler gereizt ab, weil er darin den Plan seines Sturzes als Regierungschef erkannte. Die Arbeitsbeziehung zwischen den beiden, die in den ersten Regierungsjahren besonders eng und besonders erfolgreich gewesen war, verschlechterte sich weiter, was im Kreisky-Lager auf Sachkonflikte und zunehmende Skepsis gegenüber Androschs Lebensstil zurückgeführt wurde, im Androsch-Lager auf wachsende Eifersucht des Kanzlers gegenüber Androschs Popularität innerhalb und außerhalb der Partei gesehen wurde.

Der Konflikt mit Simon Wiesenthal

In einen weiteren Konflikt gerät Kreisky mit Simon Wiesenthal, als dieser den FPÖ-Vorsitzenden Friedrich Peter einer möglichen Mittäterschaft bei SS-Verbrechen verdächtigte. Kreisky sah darin den Versuch, einen möglichen Koalitionspartner politisch auszuschalten und reagiert mit heftigen und ungerechtfertigten Angriffen auf Wiesenthal.

Kreiskys „Krampf“ mit der ÖVP und neuen Bewegungen

Auch zwischen den Regierenden und den Regierten kam es zunehmend zu Konflikten. Die Bevölkerung nahm nicht mehr alles hin, was von oben angeordnet wurde und neue Bewegungen traten auf die politische Bühne. In Wien trat Bürgermeister Felix Slavik 1973 zurück, nachdem eine Bürgerinitiative den Bau eines Universitätsinstituts im Sternwartepark verhindert hat. Im alten Schlachthof von St. Marx bildete sich eine avantgardistische und gesellschaftskritische Alternativkultur und besetzte die „Arena“, als diese abgerissen werden sollte.

Viele Jahre glaubte die ÖVP Kreisky über den Widerstand gegen Projekte schwächen zu können. Von Zwentendorf bis zur Donauinsel, von der Fußgängerzone in der Kärntnerstraße bis zum Konferenzzentrum ließen VP-Obmänner nichts aus, um gegen Kreisky und die SPÖ quer zu schießen. Der Erfolg dieser Kampagnen war jedoch mäßig erfolgreich.

Die Errichtung eines Konferenzzentrums bei der UNO-City in Wien lehnte die Volkspartei zu Beginn der Achtzigerjahre vehement ab. Dem war bereits eine heftige Debatte um den Bau der UNO-City in Wien vorausgegangen. Dieses Vorhaben war 1967 noch von der Regierung Klaus beschlossen worden. 1973 begann die ÖVP, dieses Projekt vehement zu bekämpfen. Das UNO-Zentrum wurde trotzdem realisiert und konnte am 23. August 1979 den Vereinten Nationen übergeben werden. Neben der UNO-City sollte nun nach Plänen der Regierung ein Konferenzzentrum entstehen. Die ÖVP sprach von einem unnötigen und vor allem kostspieligen Bau und leitete ein Volksbegehren dagegen ein. Das Referendum wurde von 1,36 Millionen Österreichern unterschrieben und war das erfolgreichste der Zweiten Republik. Dessen ungeachtet wurde die Errichtung des Konferenzzentrums umgesetzt. Die ÖVP warf Kreisky daraufhin undemokratisches Verhalten vor, was dieser mit folgenden Worten abschmetterte: „Strapazieren Sie nicht das Demokratieverständnis bei einem Mann, der wegen zwei Diktaturen im Gefängnis war. Und eine davon haben Sie verursacht.“

Atomkraft - Nein Danke

Die „Anti AKW-Bewegung“, eine der stärksten Bürgerinitiativen in der Geschichte der Zweiten Republik, zwang Bruno Kreisky zur Abhaltung einer Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des bereits fertiggestellten Atomkraftwerks Zwentendorf. Obwohl das Kernkraftwerk am 11. November 1969 von der damaligen ÖVP-Bundesregierung Klaus II genehmigt wurde, erhoffte sich die ÖVP durch ihren Kurswechsel eine politische Schwächung Kreiskys. Kreisky verlor zwar die Volksabstimmung am 5. November 1978 mit 50,47 Prozent „Nein zu Zwentendorf“, initiierte im Dezember 1978 das Atomsperrgesetz und gewann mit noch größerer Mehrheit die folgende Nationalratswahl 1979.

Lütgendorf, Lucona und der Club 45

1976/77 löste Verteidigungsminister Karl Lütgendorf eine Krise im Kabinett Kreisky III aus. Ein illegaler Waffen- und Munitionstransport nach Syrien wurde Ende 1976 am Flughafen Schwechat gestoppt. Syrien war ein Krieg führender Staat, womit eine eindeutige Neutralitätsverletzung vorlag. Verteidigungsminister Karl Lütgendorf verstrickte sich in Widersprüche und musste Mai 1977 zurücktreten. Lütgendorf, der zudem verdächtigt wurde, am Rande in den Versicherungsbetrug des Frachters „Lucona“ verstrickt zu sein, kam 1981 bei einem Jagdunfall ums Leben, der bis heute die Frage offenlässt, ob es sich hierbei um Suizid oder Mord gehandelt hat.

„Lucona" war der Name eines Schiffes, das angeblich eine Uranerzaufbereitungsanlage an Bord hatte und 1977 im Indischen Ozean versank. Dabei kamen sechs Menschen ums Leben. Wie sich erst viel später herausstellen sollte, lag dem "Unglück" ein von langer Hand geplanter Versicherungsbetrug zugrunde, dessen Urheber der damalige Demel-Besitzer Udo Proksch war. Seine Society-Verbindungen vor allem über den Club 45 nutzte er geschickt, um einer Strafverfolgung zu entgehen.

Zur Klärung der politischen Verbindungen, besonders zu Teilen der SPÖ ("Club 45"), wurde 1988 ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt. Leopold Gratz musste als Folge der Affäre 1989 als Nationalratspräsident ebenso zurücktreten, wie Innenminister Karl Blecha. Der Gerichtsprozess gegen Udo Proksch endete 1992 mit einem Schuldspruch wegen Mordes und seiner Verurteilung zu lebenslanger Haft. 2001 starb Proksch an den Folgen einer Herzoperation.

Frieden schaffen ohne Waffen

Die internationale Friedensbewegung hatte indessen auch Österreich erfasst, sie fand vor allem bei der Jugend Zuspruch und wurde weltweit von vielen Künstlerinnen und Künstlern getragen. Das Engagement der sozialistischen Jugend in der „gesamtösterreichischen Friedensbewegung“ gegen den die geplante Stationierung neuer atomarer Waffen (Pershing II und Cruise Missiles) in der BRD (Nato-Doppelbeschluss) wurde nicht von allen Teilen der Partei vollinhaltlich unterstützt. Während mächtige Teile des ÖGB das Argument der Arbeitsplätze anführte, kritisierten Teile der Partei die angeblich zu enge Zusammenarbeit mit Kommunisten ( es öffnet sich ein neues kleines Fenster">„Linzer Appell“). Immer wieder wurde dazu die Keule der „Eisenstädter Erklärung“ hervorgeholt. Letztendlich demonstrierten bei der Friedenskundgebung am 15. Mai 1972 mehr als 70.000 Menschen am Wiener Rathausplatz.

Schon 1981 war es wegen des geplanten Exports von 57 Panzern seitens der Steyr-Werke Simmering nach Argentinien zu Protesten gekommen. Demonstranten der Friedensbewegung, darunter viele Jungsozialisten, wollten die Auslieferung verhindern, woraufhin sie von erbosten Steyr-Arbeitern verprügelt wurden. Die Befürworter der Waffenexporte – Gewerkschaft und Industrie – argumentierten mit der Sicherung der Arbeitsplätze und des Konkurrenzstandorts Österreich. Ihre Gegner verwiesen auf die gesetzliche und moralische Verpflichtung der Zweiten Republik, die sich aus der immerwährenden Neutralität ergab.

Väterliches Vorbild der jungen Sozialisten

Die Diskrepanz zwischen linker Programmatik und realpolitischer Staats- und Regierungsverantwortung führte auch immer wieder zu innerparteilichen Spannungen mit der Jugendorganisation. Politische Kampagnen der Sozialistischen Jugend zur 35 Stunden-Woche, heftige Kritik an der an der verstaubten Sexual- und Kulturvorstellungen der katholischen Kirche, gegenüber österreichischen Rüstungsexporten, konkrete Hilfe für Befreiungsbewegungen und vor allem das starke Engagement in der Friedensbewegung führten immer wieder auch zu heftigeren Diskussionen mit der SPÖ-Führung.

Rot-Grüne-Plattformen der SJ und linker Ideologen wurden ebenso kritisch beäugt, wie die drei Fragen von Josef Cap an den damaligen burgenländischen Landeshauptmann Theodor Kery am Bundesparteitag 1982 und der von der SJ getragene und erfolgreiche Vorzugsstimmen-Wahlkampf 1983 für Josef Cap. Trotzdem aller kritischer Debatten war Bruno Kreisky für die JungsozialistInnen einer von ihnen – kam er doch aus der SAJ der Zwischenkriegszeit, war stolz darauf und erwähnte das gerne und häufig.

Der Medienkanzler

Der Bedeutung der Medien und der öffentlichen Meinung für den politischen Erfolg war sich Bruno Kreisky von Beginn an bewusst. 1972 führte er nach der wöchentlichen Ministerratssitzung das Pressefoyer ein. Hier stand er den Journalisten Rede und Antwort, bewarb und verteidigte seine Politik und gab Themen vor. Sein „Ich bin der Meinung“ wurde legendär. Der „telegene“ Kanzler behielt aber vor allem den wachsenden Einfluss des Fernsehens im Auge, das er als erster österreichischer Politiker gut zu nutzen verstand. Kreisky wirkte im Fernsehen ungemein überzeugend, sowohl in Interviews als auch in der Konfrontation mit politischen Gegnern.

Ulrich Brunner erregte als Leiter Fernseh-Innenpolitik des ORF am 24. Februar 1981 den Unwillen des Kanzlers. „Lernen S' a bisserl Geschichte, Herr Reporter!“ wurde zum verselbständigten Zitat.

Doch der 1972 medial massiv aufbereitete Empfang für Karl Schranz, der aufgrund eines Streits um den Amateurstatus des Athleten von den Olympischen Winterspielen im japanischen Sapporo ausgeschlossen worden war, verdeutlichte Kreisky die Mobilisierungskraft der Television. Der Kanzler selbst wurde im Zuge des „Schranz-Rummels“ dazu gedrängt, mit dem Sportler auf den Balkon des Kanzleramts zu treten. Die gesamte Situation war ihm aber zutiefst unangenehm.

Der Kampf um den ORF

Umso mehr lag es im Interesse der SPÖ, die bürgerliche Dominanz in der Führung des ORF zu brechen. Die Unabhängigkeit des Rundfunks war 1964 die Intention eines von Journalisten und Zeitungsherausgebern angeregten Volksbegehrens gewesen. Das 1966 von der ÖVP verabschiedeten Rundfunkgesetz legte fest, dass im Aufsichtsrat jedes Bundesland über je eine Stimme verfügt, womit sich die Volkspartei eine deutliche Mehrheit sicherte.

Beim Villacher Parteitag 1972 offenbarte Kreisky dann erstmals seine Pläne für einen reformierten Rundfunk. Er plädierte für eine „Demokratisierung« des ORF mittels Hörer- und Sehervertretung“. Das neue Rundfunkgesetz vom 10. Juli 1974 legte schließlich gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ die Entscheidungsgewalt bei TV und Radio in die Hände eines ORF-Kuratoriums mit damals stabiler sozialistischer Mehrheit.

Danach wurde Gerd Bacher mit knapper Mehrheit abgewählt und durch Otto Oberhammer ersetzt. 1978 kehrte Bacher jedoch wieder an die Spitze des ORF zurück, da sich die SPÖ-Mehrheit im Kuratorium in zwei Lager gespalten hatte. Das Rundfunkgesetz 1974 brachte eine Föderalisierung des Fernsehprogramms und den Ausbau der Landesstudios. Die Dezentralisierung der Entscheidungskompetenz förderte die Kreativität und Eigenständigkeit von Redakteuren und Programmverantwortlichen. Sendungen wie die „ZIB 2“, der „Club 2“, die „Alpensaga“ und „Kottan ermittelt“ waren nun möglich. Diese und andere Beispiele zeigen, was in der Ära Kreisky möglich wurde. Das galt, obwohl dem Kanzler persönlich manches nicht schmeckte. So ging er nach der Übertragung des musikalischen Oratoriums „Die Proletenpassion“ von den "Schmetterlingen" so weit, bei Franz Kreuzer, dem verantwortlichen Programmintendanten, wütend zu protestieren.

Kulturpolitik wurde nun auch abseits der Hochkultur betrieben. Gegenwartsliteratur und Avantgarde hatten ebenso ihren Platz. Ein Sozialfonds für Autoren wurde geschaffen. Das alles entsprach einem klugen sozialdemokratischen Kalkül. Viele Künstlerinnen und Künstler sahen sich von Kreisky anders respektiert als durch die Politik davor und traten offen für ihn und seine Politik auf.

Am 23. Juni 1974 wurde der auf Vorschlag Kreiskys aufgestellte parteilose SPÖ-Kandidat Dr. Rudolf Kirchschläger zum Bundespräsidenten gewählt. Als er sich 1980 erfolgreich der Wiederwahl stellte, nominierte die ÖVP keinen eigenen Kandidaten und schloss sich der Wahlempfehlung für Kirchschläger an.

Bei den Nationalratswahlen 1975 setzte die SPÖ voll auf die Leistungen, wie etwa eine Steuerreform, welche vor allem den Unverheirateten und den AlleinverdienerInnen Vorteile brachte, die Heiratsbeihilfe, die Schulbuchaktion und die Schülerfreifahrt, aber auch die Bergbauernhilfe. (Rede am Parteitag 1975)

„Kreisky – wer sonst?“ lautet der Slogan der SPÖ, was die zunehmende Personalisierung der Politik im TV-Zeitalter weiter verstärkte. Nachdem ÖVP-Chef Karl Schleinzer, bereits im Wahlkampf befindlich, bei einem Unfall ums Leben gekommen war, wurde Josef Taus neuer Obmann der Volkspartei. In der SPÖ wurde über eventuelle Verluste bei der kommenden Wahl spekuliert und FPÖ-Chef Peter als möglicher Koalitionspartner erneut ins Spiel gebracht. Die SPÖ erreichte jedoch abermals die absolute Mehrheit, der Mandatstand blieb gleich.

Auch das Kabinett Kreisky III setzte die Reformbestrebungen fort. Hertha Firnberg, die dem 1970 neu gegründeten Wissenschaftsministerium vorstand, war darangegangen, die Hochschulen umzugestalten. Schon 1972 waren die Studiengebühren abgeschafft worden. Das heftig umstrittene Universitätsorganisationsgesetz sah das Mitbestimmungsrecht der Studenten, Assistenten und Dozenten vor. Die Professoren verloren in allen Gremien die absolute Mehrheit. Justizminister Christian Broda schuf im neuen Scheidungsrecht die Möglichkeit, die Ehe einvernehmlich aufzulösen und ermöglichte mit dem Unterhaltsvorschussgesetz eine finanzielle Absicherung der Frauen.

Kampf gegen Arbeitslosigkeit

Zwischen 1975 und 1981 erreichte Österreich ein jährliches Durchschnittswachstum des realen Bruttoinlandsprodukts von 2,7 Prozent und lag damit etwas über dem OECD-Schnitt von 2,5 Prozent. Die Inflationsrate unterschritt mit 9,4 Prozent deutlich den Durchschnittswert der OECD von 11,2. Allen voran aber lag die Arbeitslosenrate Österreichs (2,2 Prozent) weit unter jener der OECD-Staaten. Der Kampf um die Sicherung der Arbeitsplätze war stets das erklärte Ziel Bruno Kreiskys gewesen, der mahnend an die Folgen der Not der Dreißigerjahre erinnerte. Dabei strich er immer wieder die Pflicht der Regierung hervor „die Menschen in Arbeit zu halten“. Er gab der Vollbeschäftigungspolitik absoluten Vorrang.

Bei der Nationalratswahl am 6. Mai 1979 erreichte die SPÖ mit Bruno Kreisky ihr historisch bestes Ergebnis. Das starke Abschneiden der Sozialdemokraten mit über 51% und 95 Mandaten (+2) überraschte insofern, als Kreisky davor die Zwentendorf-Volksabstimmung verlor, an die er eigentlich sein politisches Schicksal gebunden hatte. Während die FPÖ mit Alexander Götz minimal zulegte, büßte die ÖVP geringfügig an Zustimmung ein. Parteichef Josef Taus übergab nach seiner gescheiterten Kanzler-Kampagne die Rolle als VP-Obmann und Oppositionschef an Alois Mock.

Der Wahlkampf 1979 stand unter dem Motto „Der österreichische Weg in die Achtzigerjahre“ und stellte die Erhaltung der Arbeitsplätze ins Zentrum. Kreiskys berühmter Ausspruch, dass "mir ein paar Milliarden mehr Schulden weniger schlaflose Nächte bereiten, als ein paar hunderttausend Arbeitslose mir bereiten würden“, fiel in diesen Tagen.

Demokratisierung sämtlicher Lebensbereiche

Nachdem Bruno Kreisky den Begriff der „Demokratisierung sämtlicher Lebensbereiche“ bzw. jenen der „Durchflutung aller Lebensbereiche mit Demokratie“, wobei in beiden Fällen auch soziale Aspekte (Chancengleichheit) und ein Ausbau von Mitbestimmungsmöglichkeiten ein wichtiger Bestandteil des „Demokratisierungsbegriffs“ waren prägte, machten sich bald wesentliche gesellschaftliche Veränderungen bemerkbar. Allmählich eroberten junge Frauen auch bisherige „Männerdomänen“ und wurden dabei von der Politik unterstützt. Wichtige Schritte waren per Gesetz bereits getan. 1978 wurde auf Initiative der späteren Staatssekretärin Johanna Dohnal das erste Frauenhaus in Wien eingerichtet. Gewalt in der Familie sollte nun auch politisch nicht mehr gänzlich tabuisiert werden.

Auf diese Entwicklung reagierte die SPÖ spät aber doch mit dem Kabinett Kreisky IV. So wurden neben Hertha Firnberg (BM für Wissenschaft und Forschung) und Ingrid Leodolter (BM für Gesundheit und Umweltschutz bis 8. Oktober 1979) Franziska Fast (Sozialministerium), Elfriede Karl (Finanzen), Anneliese Albrecht (Handel, Gewerbe, Industrie) und Beatrix Eypeltauer (Bauten und Technik) zu Staatssekretärinnen berufen. Sie sollen laut Kreisky „vor allem den Durchbruch der Frauen in der Politik dokumentieren.“ Als besonderes politisches Signal wurde das neu errichtete Staatssekretariat für Frauenfragen unter der Leitung von Staatssekretärin Johanna Dohnal gesehen. „Bruno Kreisky wusste, dass es nicht genügt, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Verfassung niederzuschreiben und darauf zu warten, dass sie von selbst kommt“ so Dohnal. (Video: http://www.demokratiezentrum.org/wissen/videos.html?index=2260&video=2260)

Die steigende Arbeitslosigkeit in Folge der zweiten Ölpreiskrise und des Ersten Golfkrieges und die VOEST-Krise wurden durch staatliche Aufträge, hauptsächlich in die Infrastruktur, bekämpft. Die Rechnung ging auf: Die Ära Kreisky wurde zu einem Synonym für Vollbeschäftigung und für die Humanisierung der Arbeitswelt (Generalkollektivvertrag zur 43-Stunden-Woche (1970), die 40 Stunden-Woche (1975), Mindesturlaub erhöht, Sozialleistungen für Arbeitnehmer deutlich ausgeweitet, Pensionserhöhungen, Bergbauernförderung, Entgeltfortzahlung, neues System der Sozialhilfe statt der veralteten Fürsorgebestimmungen etc.).

Seit 1977 ging der Finanzminister jedoch daran, die expansive Budgetpolitik schrittweise abzubauen. Ein Abgabenänderungsgesetz („Mallorca-Paket“) sah eine Anonymitätsabgabe für Sparzinsen – von den Gegnern als „Sparbüchelsteuer“ denunziert – und eine sozial gestaffelte Erhöhung der Besteuerung des 13. und 14. Gehalts vor. Der von der Opposition gegenüber der SPÖ wiederholt vorgebrachte Vorwurf der „Schuldenpolitik“ war indes so nicht haltbar. Die Staatsverschuldung stieg zwar von 1970 bis 1983 von 19,4 auf 46,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, lag aber im gesamten Zeitraum unter dem Durchschnitt der späteren EU15-Staaten. Hingegen überstieg das österreichische Pro-Kopf-Einkommen 1983 erstmals westeuropäischen Standard. Österreich war ein reiches Land geworden.

Zehn Punkte gegen saure Wiesen

Angesichts diverser Skandale und der aufgedeckten Verflechtung von Politik und persönlichen Geschäften (AKH-Skandal, Lucona) sah sich Bundespräsident Rudolf Kirchschläger Ende August 1980 veranlasst, von einer notwendigen Trockenlegung der "Sümpfe und sauren Wiesen" in der politischen Landschaft Österreichs zu sprechen. Nur wenige Tage später präsentierte Bundeskanzler Kreisky ein "Zehn-Punkte-Programm" zur Sauberkeit im öffentlichen Leben und zur Trennung von Politik und Geschäft. Dieses richtete sich auch gegen Vizekanzler Hannes Androsch. Sein von Kreisky massiv betriebener Rücktritt zögerte sich jedoch weiter hinaus, da viele Menschen innerhalb und außerhalb der SPÖ den Erfolg der Ära Kreisky nicht nur mit der Person des Kanzlers, sondern ebenso mit der Person des Finanzministers und Vizekanzlers verknüpften. Mit dem Rücktritt von Hannes Androsch im Jänner 1981 endete ein Konflikt, der die SPÖ beinahe gespalten hätte. Die persönlichen Spannungen zwischen Kreisky und Androsch wurden jedoch nie beigelegt.

Am 24. April 1983 standen neuerlich Nationalratswahlen an. Es sollten die letzten für Bruno Kreisky sein. Der Sozialdemokratie war bewusst, dass eine erneute Verteidigung der absoluten Mehrheit kaum zu erwarten war. Die öffentlich geführte Auseinandersetzung zwischen Kreisky und Androsch hatte die Basis verstört und in der Partei tiefe Gräben aufgerissen. Die Opposition griff im Wahlkampf nicht nur den AKH-Skandal und das auf Sparmaßnahmen abzielende „Mallorca-Paket“ auf, sondern thematisierte auch Kreiskys Alter und seinen gesundheitlichen Zustand. Selbst für Außenstehende waren die Auswirkungen seiner Nierenerkrankung längst erkennbar. Die SPÖ setzte im Wahlkampf dennoch weiterhin auf die Identifikationsfigur Kreisky, der jedoch erklärte, bei einem Verlust der absoluten Mehrheit nicht mehr für die Regierungsgeschäfte zur Verfügung zu stehen.

Die Wahl brachte für die Sozialdemokratie einen Stimmenverlust von 3,2 Prozent, ein Minus von fünf Mandaten und die absolute Mehrheit gingen verloren. Noch am Wahlabend gab Kreisky seinen Rücktritt bekannt. Seine Nachfolge trat Fred Sinowatz an. Als Parteichef bestimmte Kreisky allerdings noch maßgeblich die Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ unter Norbert Steger.

Die Funktion des Parteiobmanns legte er am 29. Oktober 1983 zurück (ORF Mittagsjournal mit Kreiskys Abschiedsrede) und wurde per Akklamation zum Ehrenvorsitzenden auf Lebenszeit gewählt.

Kreiskys Mission geht weiter

Aber auch nach seinem Abschied aus der österreichischen Innenpolitik war Bruno Kreisky gern gesehener Gast bei Konferenzen und wurde als Kommentator des politischen Geschehens geschätzt. Kreisky unternahm in den Jahren nach seiner Kanzlerschaft viele Reisen und blieb der internationalen Politik verbunden. In seinem Haus auf Mallorca empfing er weiterhin international hochranginge Politiker und blieb in der „Sozialistischen Internationalen“ aktiv. 1986 wurde er Vorsitzender der Europäischen Kommission für Beschäftigungsfragen. Er erhielt zahlreiche Preise im Ausland, die sein Wirken würdigten.

Abschied im Zorn

Das im Jänner 1987 geschlossene Koalitionsabkommen mit der ÖVP und den damit verbundenen Verlust des Außenministeriums kritisierte Kreisky scharf und legte deshalb auch den Ehrenvorsitz der SPÖ nieder.

„Am 14. Jänner 1987 ertönte ein heftiges Donnergrollen aus der Döblinger Armbrustergasse Nr. 15, das in ganz Europa klar und deutlich zu vernehmen war. Von seinem Wohnsitz aus legte Altkanzler Bruno Kreisky unter Protest seine letzte Funktion zurück: den Ehrenvorsitz seiner Partei, der SPÖ. Die Gründe für die Verbitterung des Altkanzlers waren vielfältig. Nicht nur, dass Kreisky dem neuen SPÖ-Chef Franz Vranitzky misstraute. Der war seinen eigenen Weg gegangen und hatte die Regierung mit der FPÖ beendet, nachdem Jörg Haider Parteichef geworden war. In nachfolgenden Koalitionsverhandlungen überließ Vranitzky das Außenministerium Alois Mock und der ÖVP. Für den Internationalisten Kreisky, der Österreich über lange Jahre ins Rampenlicht der politischen Weltbühne zurückgeführt hatte, ein schwerer Affront. Und seiner Überzeugung nach ein unverzeihlicher, strategischer Fehler.“ Wiener Zeitung / 14. Jänner 1987

Die Kritik vom Alt-Bundeskanzler an seiner SPÖ war hart und umfassend. In einem Brief an Kreisky zeigten sich die stellvertretenden Vorsitzenden Heinz Fischer und Karl Blecha „bestürzt und gekränkt“ und bezeichneten seine Vorwürfe als "unfair und unberechtigt". (ORF-Mittagsjournal 19.1.1987Pressegespräch von SPÖ-Zentralsekretär Keller zur Kritik des Altkanzlers an der SPÖ und der Widerhall des Streites in der Presse vom 22. 1. 1987)

„Servus, ganz meinerseits“

Nur mühsam konnte Franz Vranitzky eine Annäherung herbeiführen, zumindest für die Öffentlichkeit. Österreichs Botschafter in Bonn, Friedrich Bauer, war dabei hilfreich: Im Dezember 1988 reiste die Hautevolee der Sozialdemokratie Europas nach Godesberg, wo Kanzler Kohl ein Abendessen zu Ehren des 75-jährigen Willy Brandt gab. Kreisky kam im Privatjet seines Freundes Kahane, Botschafter Bauer nahm ihn in Empfang und teilte ihm gleich mit, dass natürlich auch Vranitzky als amtierender SPÖ-Chef kommen würde. Der Alte brummte Unverständliches. Eher Unfreundliches. Und, setzte Bauer fort: Vranitzky würde ihn begrüßen. Der ORF wäre informiert und würde die Szene filmen. Als kurz darauf Vranitzky im Gästehaus eintraf, sagte er zu dem halb blinden, alten Mann: „Guten Abend, Herr Bundeskanzler, schön, dich hier zu treffen.“ Kreisky gab sich einen Ruck und sagte so freundlich, wie er eben konnte: „Servus, ganz meinerseits.“ Der ORF hatte, was er brauchte, in Österreich ging ein Aufatmen durch die schon genervte Innenpolitik.

Dankbarkeit ist keine politische Kategorie

Bruno Kreisky starb am 29. Juli 1990 an Herzversagen. Am Vorabend berichtete seine engste Vertraute Margit Schmidt Nationalratspräsident Heinz Fischer, dass „der Chef im ernsten Zustand ins Spital eingeliefert wurde und nicht mehr ansprechbar sei“.

„Als Bruno Kreisky schon sehr krank war, ziemlich zum Schluss, bin ich mit ihm in der Armbrustergasse gesessen“, erzählte Margit Schmidt. „Ihn haben die turbulenten Ereignisse in Deutschland, der Fall der Berliner Mauer, die Wende, sehr beschäftigt. Wenn er jünger und gesünder wäre, würde er gern noch einmal nach Berlin reisen. Er hat lang über die Chancen der Zukunft Europas gesprochen. Nach einer Weile hat er mich traurig angeschaut und gemeint: Alt werden ist eine Gemeinheit.“

Das Alter hatte es mit Kreisky nicht gut gemeint. Nur mehr wenige Freunde aus dem In- und Ausland hielten Kontakt. Mit vielen früheren Genossen hatte er sich zerstritten, die Krankheiten setzten ihm zu, seit dem Tod seiner Frau, Vera, war er sehr allein. Bitterkeit herrschte in der Villa in der Armbrustergasse. „Man sollte eigentlich glauben“, meinte Norbert Leser, „dass ein Mensch von diesen vielen Hochgefühlen zehren kann, die er erleben durfte. Aber das war nicht der Fall.“

Die bittere Einsamkeit war auch auf ein lang zurückliegendes Ereignis zurückzuführen: Der Machtkampf zwischen den beiden sozialdemokratischen Führungsfiguren Bruno Kreisky und Hannes Androsch in den Achtzigerjahren hinterließen beim Kanzler wohl auch leiblichen und seelischen Blessuren, von Fred Sinowatz – den er lange Zeit sehr schätzte - fühlte er sich hintergangen und mit Franz Vranitzky fand er sich lang überhaupt nicht zurecht.

Aber die Zeiten, mit ihr die Sozialdemokratie, hatten sich eben gewandelt. Gerade der „alte Kreisky“ hätte dafür Verständnis haben sollen, war er doch jahrzehntelang der bedeutendste Reformator.

Immer wieder hat Kreisky in besseren Zeiten das Bonmot verwendet, „Dankbarkeit sei keine politische Kategorie“. Nun stand er selbst vor diesem seltsamen Phänomen. „Mit dem Kopf hat er das auch akzeptiert, im Herzen hat es aber doch weh getan", sagt seine Assistentin.

„Ich lege keinen Wert auf Kränze, die die Nachwelt mir flicht“, schrieb „der Alte“ in seinen Memoiren. „Ich lege keinen Wert auf Denkmäler. Was ich gern hätte, wäre, wenn einmal die Periode, in der ich die politischen Verhältnisse in Österreich beeinflussen konnte, als eine Periode der Einleitung großer Reformen betrachtet würde, die ihre gesellschaftlichen Spuren hinterlassen und eine Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse gebracht haben. Nichts wäre grauslicher als der Gedanke, nur administriert zu haben.“

Über den Tod Bruno Kreiskys berichteten nahezu alle Tageszeitungen weltweit auf ihren Titelseiten. Zu seinem Begräbnis fanden sich Kollegen, Mitstreiter und Freunde aus aller Welt, und ein unübersehbares Spalier entlang der Ringstraße ein.

In den Gedenkreden bei der Beisetzung am Wiener Zentralfriedhof am 7. August 1990 wurden Kreiskys innen- und außenpolitisches Wirken, sein soziales Engagement, seine Weltoffenheit, sein Humanismus und seine Friedenbestrebungen betont. Willy Brandt brachte es mit folgenden Worten auf den Punkt: „Dabei stimmt es nun ganz gewiss, dass seine Welt größer war als sein Land. Er hat sich um die Gemeinschaft und das Wohlergehen der Völker verdient gemacht. Ruhe in Frieden, lieber, schwieriger und guter Freund!"

Bruno Kreisky - Kurzbiografie

Am 22. Jänner 1911 wurde Bruno Kreisky als Sohn eines jüdischen Geschäftsmannes in Wien geboren. Schon bald war er im Verband der Sozialistischen Mittelschüler und in der Sozialistischen Arbeiterjugend aktiv. Als Mitglied der Revolutionären Sozialisten wurde er im Austrofaschismus verhaftet und war einer der Angeklagten im Sozialistenprozess von 1936. Als der Nationalsozialismus in Österreich die Macht übernahm, musste er nach Schweden emigrieren.

Er kehrte 1951 nach Österreich zurück und war als Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten maßgeblich an den Staatsvertragsverhandlungen beteiligt. Zwischen 1959 und 1966 diente er als Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten in der Großen Koalition. Im Februar 1967 wurde er zum Parteivorsitzenden der SPÖ gewählt.

Bei den Nationalratswahlen 1970 erreichte er mit der SPÖ die relative Mehrheit und wurde österreichischer Bundeskanzler. Bei den drei folgenden Wahlen (1971, 1975 und 1979) gewann die SPÖ die absolute Mehrheit. In der als Ära Kreisky bezeichneten Zeit (1970-1983) gelang es ihm, eine grundlegende Modernisierung der österreichischen Gesellschaft durchzuführen. Vor allem durch seine zahlreichen internationalen Aktivitäten und die Friedensbemühungen im Nahost-Prozess trug er wesentlich dazu bei, die internationale Rolle Österreichs zu stärken. Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit bei den Nationalratswahlen 1983 zog sich Bruno Kreisky aus der Politik zurück. Er starb am 29. Juli 1990 in Wien.

Am Ende der Seite findest du Fragen zur Ära Bruno Kreisky - mach mit!

Zum Projekt "Zeitreise - Geschichte der ArbeiterInnenbewegung) unserbezirkmoedling.at/Zeitreise

Hannes Weninger: Zeitreise in die Ära Bruno Kreisky (zeitreiseextra_die_aera_bruno_kreisky.pdf)

Literaturtipps:

Meilensteine der Ära Kreisky

Kreisky Archiv

Kreisky-Jahr 2011

div. Kreisky-Videos im ORF: https://tvthek.orf.at/history/Die-Aera-Kreisky/6284171/Kreisky-LernenS-ein-bissl-Geschichte/6565177

Kurier: Wie Kreisky eine neue Form des Wahlkampfes erfand

ORF History: Begräbnis von Bruno Kreisky

SPÖ Plakate Volksabstimmung 1994: https://www.cvce.eu/de/obj/reihe_von_plakaten_der_sozialdemokratischen_partei_osterreichs_spo_fur_den_beitritt_osterreichs_zur_eu_1994-de-1de78e8f-d539-44d5-8148-2be045615ac9.html

SPÖ Programme: Aktionsprogramm 1947Das Parteiprogramm 1958Das neue Programm der SPÖ 1978Das Grundsatzprogramm 1998SPÖ Grundsatzprogramm 2018

Parlament: Die Habsburg-Krise - mehr als parteipolitische Auseinandersetzungen

Habsburger-Gesetz

Audiodatei: Vortrag von Bundeskanzler Bruno Kreisky: "Zur Lage Österreichs aus innen-, außen- und wirtschaftspolitischer Sicht.", RI, 23.9.1974

Mediathek der UB Graz: Ära Kreisky

Demokratiezentrum Wien: Bildstrategien

Kreisky-Archiv: Meilensteine der Ära Kreisky

ORF: TV-Konfrontationen seit 1970

ORF: Historischer Wahlbericht 1970 (Wahlabend)

kontrast.at: Kurzbiographie Bruno Kreisky (Video)

Video: "Ich bin der Meinung..." - Best of Bruno Kreisky

Sozialistische Internationale

IFES

Demokratiezentrum Wien: Die Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre 1975

Leopold Buchner: Anti AKW-Zeitzeuge

Österreichische Mediathek: Bruno Kreisky / 1045 Audio- und Videodateien

Profil: Zeitgeschichte: Mein lieber Freund - Bruno Kreisky, Jassir Arafat und Palästina

Video: Bruno Kreisky - Weiter auf dem österreichischen Weg

Youtube: Bruno Kreisky-Videos