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Kundgebung auf der Predigerstuhlwiese

15. Juli 1934: Todesopfer bei RS-Kundgebung auf der Predigerstuhlwiese

Nach dem Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und aller ihrer Organisationen durch die austrofaschistische Regierung Dollfuß nach dem 12. Februar 1934 flüchtete das Führungspersonal der Partei entweder ins Ausland oder wurde von der Exekutive verhaftet und u.a. im Internierungslager Wöllersdorf inhaftiert. Illegale sozialdemokratische Untergrundorganisation schlossen sich als „Revolutionäre Sozialisten“ (RS) zusammen und organisierten den konspirativen Widerstand durch die Kolportage von Flugzetteln und der – heimlich aus Brünn ins Land geschmuggelten - Arbeiter-Zeitung, das Abhalten von Demonstrationen, Boykottaktionen und Blitzkundgebungen, bei denen etwa rote Fahnen gehisst und Protest- und ArbeiterInnenlieder gesungen wurden.

Von Brünn aus schmuggelten Vertrauensleute der in die Illegalität gedrängten Partei geheim gedruckte Ausgaben der „Arbeiter-Zeitung“ ins Land - auf dünnem Papier und im kleinen Format, aber ein mutiges Zeichen des Widerstandes gegen die christlichsoziale Diktatur.  Nach einem Aufruf in der „Arbeiter Zeitung“ eilten im Mai 1934 hunderte Sozialdemokraten aus dem Liesinger Bereich auf den Perchtoldsdorfer Parapluieberg. Diese Versammlung verlief ohne Zwischenfälle.

Zwei Monate später, am 15. Juli 1934, sollte eine weitere – natürlich verbotene - Kundgebung in noch größerem Stil stattfinden. Auf einer Waldlichtung im Wienerwald im Gebiet der Gemeinde Kaltenleutgeben Richtung Gießhübl sollte den Opfern des Justizpalastbrandes vom 15. Juli 1927 gedacht werden.

Als Familienausflügler getarnt trafen sich rund 3.000 Teilnehmer auf der Predigerstuhlwiese und sangen zum Gedenken der im Juli 1927 getöteten DemonstrantInnen das Lied „Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin“. Kaum hatte Rosa Jochmann ihre Rede begonnen, meldeten Sicherungsposten des Schutzbunds das Herannahen von drei Sturmschärlern – der christlichsozialen Kampftruppe "Ostmärkischen Sturmscharen" Schuschniggs.

Rosa Jochmann (Bildmitte) als Rednerin bei der Kundgebung der Revolutionären Sozialisten auf der Predigerstuhlwiese in Kaltenleutgeben am 15. Juli 1934

Kaum war der Warnungsruf der aufgestellten Wachen erfolgt traten faschistische Schutzkorpsleute und Gendarmen, die Gewehre im Anschlag, aus dem Wald. Der junge Arbeiter Richard Lehmann aus Liesing erhob abwehrend seine rote Fahne gegen die bewaffneten Faschisten. Im nächsten Augenblick krachte ein Schuss und Lehmann stürzte tödlich getroffen zu Boden. Sein ebenfalls aus Liesing stammender Freund Hans Fröhlich wollte die Fahne aufheben und wurde ebenfalls tödlich getroffen. Der durch einen Streifschuss schwer verletzte Karl Reitmaier wurde im Krankenhaus Mödling versorgt und überlebte.

Am 18. Juli 1934 wurden Johann Fröhlich und Richard Lehmann auf dem Liesinger Friedhof zu Grabe getragen. Die Gendarmerie zog um die Friedhofsmauer einen dichten Kordon und brachte vor dem Friedhofstor zwei Maschinengewehre in Stellung. Im Friedhof selbst standen hinter Grabsteinen und in Gebüschen Gendarmen mit schussbereitem Karabiner. Ein Mahnmal mit den eingravierten Namen von Freiheitskämpfern erinnert am Liesinger Friedhof an diese furchtbare Zeit.

Am 2. Oktober 2004 wurde nahe der früheren Predigerstuhlwiese vom Bund Sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen Liesing und Mödling und der SPÖ Bezirksorganisation Mödling ein Gedenkstein für die Opfer des 15. Juli 1934 gesetzt.

Originalbericht der Gendarmerie - Predigtstuhlwiese: Im Anhang befindet sich ein Originalbericht der Gendarmerie, welcher von einer „Kommunistischen Demonstration in Kaltenleutgeben; Waffengebrauch mit tödlichem Ausgang“ spricht. (19340716_gendarmeriebericht_kaltenleutgeben.pdf)

Beschwerdebrief des Evangelischen Oberkirchenrates. Der Inhalt: Eine evangelische Jugendgruppe, welche mit der geheimen Versammlung der Sozialdemokraten auf der Predigerstuhlwiese nicht in Verbindung stand, kehrte aus einem Ferienlager aus der Ortschaft Sulz nach Wien heim. Sie wurde ebenfalls von den Heimwehrleuten und der Gendarmerie aus Kaltenleutgeben angehalten, die Jugendlichen kurzzeitig verhaftet, zum Gendarmerieposten gebracht und laut Auskunft einiger Teilnehmer dieser evangelischen Veranstaltung, einige Stunden festgehalten, sowie teilweise misshandelt. (19340723_beschwerde_evang_oberkirchenrat.pdf)

 

Richard Lehmann

* 1.1.1911 (lt. Grabstein; 7.9.1911 lt. dasrotewien.at/seite/lehmann-richard), † 15. Juli 1934 Kaltenleutgeben, Arbeiter, Februarkämpfer.

Schon in jungen Jahren stieß Richard Lehmann zur sozialistischen Bewegung. Er war Mitglied bei den Kinderfreunden und den Roten Falken. Später war er als Mitglied der Revolutionären Sozialisten aktiv in der Arbeiterjugend und im Wehrsport tätig. Es kann angenommen werden, dass Richard Lehmann aktiv an den Kämpfen im Februar 1934 teilgenommen hat.

Zum siebten Jahrestag der Ereignisse vom 15. Juli 1927 nahm Richard Lehmann an einer Veranstaltung von etwa 3.000 Personen auf der Predigerstuhlwiese im Ortsgebiet von Kaltenleutgeben teil. Kurz nach Beginn der Veranstaltung erschien jedoch eine Abteilung von Gendarmeriebeamten und eröffnete das Feuer auf die versammelten Sozialisten. Richard Lehmann und Johann Fröhlich wurden tödlich getroffen. Der Angestellte der Konsumgenossenschaft Karl Reitmayer wurde schwer verletzt und überlebte. Am 18. Juli 1934 fand auf dem Liesinger Friedhof die Beisetzung von Richard Lehmann und Johann Fröhlich statt. Neben den Angehörigen und Freunden der beiden Toten war auch ein großes Aufgebot an Gendarmerie auf dem Friedhof anwesend.

Der Vorfall erregte großes Aufsehen durch die Berichterstattung in den österreichischen Tageszeitungen. Während die bürgerlichen Blätter den Vorfall als kommunistische Geheimversammlung bezeichneten, bei der die anrückende Exekutive angegriffen wurde, berichtete die in der Tschechoslowakei erscheinende illegale Arbeiter-Zeitung von einem unprovozierten Feuerüberfall der Gendarmerie und der Ortswehr. 1949 wurde die Rodauner Straße (damals 25. Bezirk) in Lehmanngasse (heute 23. Bezirk) umbenannt.

Literatur: Arbeiter-Zeitung, 22.07.1934, 29.07.1934; Das Kleine Blatt, 16.07.1934; Neue Freie Presse, 16.07.1934; Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, 16.07.1934; Reichspost, 16.07.1934; Wiener Zeitung, 16.07.1934; Rathauskorrespondenz, 01.02.1949; Josef Fiala: Die Februarkämpfe 1934 in Wien Meidling und Liesing. Ein Bürgerkrieg, der keiner war. Hamburg: Diplomica Verlag 2012, S. 161 ff. Links: Das Rote Wien: Richard LehmannWikipedia: Richard Lehmann

Rosa Jochmann: Wir wurden illegal

Während der Februarkämpfe im Jahr 1934 hielt sich Rosa Jochmann in der Einsatzzentrale der Partei im Ahornhof/George Washington-Hof auf. Dort stenographierte sie Radiomeldungen über den Verlauf der Kämpfe. Nach der Niederschlagung der Februarkämpfe wurde Rosa Jochmann, wie alle ehemaligen Mitglieder des Parteivorstandes, des Hochverrats angeklagt und polizeilich gesucht. Der Großteil der Parteispitze wurde unmittelbar bei bzw. nach den bewaffneten Auseinandersetzungen festgenommen.

Ausgestattet mit einer gefälschten Identität, gelang es Rosa Jochmann mehrere Monate lang, einer Verhaftung zu entgehen. Sie war an zentraler Stelle am Aufbau der illegalen Nachfolgeorganisation der Sozialdemokratischen Partei, der Revolutionären Sozialisten, beteiligt und leistete Widerstand gegen das Regime des Austrofaschismus. Sie sprach bei illegalen Kundgebungen, nahm an Konferenzen und Aktionen teil oder transportierte Informationsmaterialien der Revolutionären Sozialisten. Im August 1934 wurde sie schließlich festgenommen.

Im Glauben an ein baldiges Zusammenbrechen des Regimes betrieben die widerständigen Gruppen in der ersten Phase der Illegalität eine noch relativ offensive Propaganda, verteilten Flugblätter, klebten Plakate oder hielten offene Versammlungen ab. Rosa Jochmann berichtete: „Schon am 1. Mai 1934 machten wir in Mödling eine Maifeier, natürlich eine kurze, hissten eine Rote Fahne (…)“. (VGA, NRJ, K7M49, Rosa Jochmann, „Wir wurden illegal“, Artikel für Eva Pfisterer, 08.02.1984)

Bei der Gedenkveranstaltung am 15. Juli 1934 auf der Predigerstuhlwiese im Wienerwald sollte Rosa Jochmann eine Ansprache halten. Als sie gerade zur Rede ansetzte, stürmte die Liesinger Ortswehr mit der Gendarmerie die Veranstaltung und erschoss zwei Menschen: „Weitere Gendarmen kamen, unsere Leute versuchten, sich zu wehren, es fielen Schüsse, viele flüchteten, man hörte Schreien und Jammern.“ (Vgl. Maria Sporrer/Herbert Steiner: Rosa Jochmann. Zeitzeugin. Wien 1983, S. 63.)

Am 30. August 1934 wurde Rosa Jochmann von einem „Konfidenten“ der Polizei beobachtet, wie sie mit zwei Aktentaschen am Bahnhof von Wiener Neustadt eintraf und sich in Richtung eines Zeitungsstandes bewegte. Sie sollte Material der Revolutionären Sozialisten zur weiteren Verteilung an den Kiosk liefern. Als Rosa Jochmann dort ankam, erschien die Polizei, nahm sie fest, beschlagnahmte das Material und dursuchte den Kiosk. Nach drei Monaten Haft in Wiener Neustadt veranlasste die Staatsanwaltschaft Rosa Jochmanns Überstellung nach Wien. Nach weiteren Monaten Untersuchungshaft im Wiener Landesgericht sowie im Gefängnis in der Rossauer Lände, von den Gefangenen „Liesl“ genannt, wurde sie zu einem Jahr Kerker mit vierteljährlichem Fasttag verurteilt. Bis zum 22. November 1935 verbrachte Rosa Jochmann insgesamt 15 Monate in Haft. (http://www.rosajochmann.at)

In Memoriam: Rosa Jochmann

Rosa Jochmann wurde am 19. Juli 1901 als viertes von sechs Kindern einer Arbeiterfamilie in Wien Brigittenau geboren. Ihre Eltern waren aus Mähren zugewandert, weshalb die Kinder zweisprachig aufwuchsen. Der Vater war Eisengießer und Mutter Josefine arbeitete als Wäscherin und Putzfrau.

Kurz nach Rosas Geburt zog die Familie nach Simmering, wo Rosa die Volks- und die Bürgerschule besuchte. Nach dem Tod der Mutter 1915 musste sie für ihre jüngeren Geschwister sorgen. Vierzehnjährig fand sie ihre erste Anstellung als Hilfarbeiterin bei der Süßwarenfabrik Victor Schmidt & Söhne. 1916 wurde sie kriegsdienstverpflichtete Arbeiterin in den Simmeringer Draht- und Kabelwerken Ariadne, danach in der Kerzen- und Seifenfabrik Apollo.

Rosas Interesse für die Politik war durch ihren Vater geweckt worden. Sie wurde bald Funktionärin im Fabriksausschuss des Chemiearbeiterverbandes und mit noch nicht einmal zwanzig Jahre Betriebsratsvorsitzende. 1926 wurde sie zur Sekretärin der Chemiearbeitergewerkschaft bestellt. Im selben Jahr war sie eine der ersten AbsolventInnen der Arbeiterhochschule in Döbling. Otto Bauer förderte die junge Genossin, beruft sie 1932 zur Zentralsekretärin der Sozialistischen Frauen und 1933 in den Parteivorstand.

Nach dem Februar 1934 engagierte sich Rosa Jochmann unter dem Decknamen Josefine Drechsler im illegalen Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten (RS). Im August 1934 wurde sie in Wiener Neustadt verhaftet und zu drei Monaten Polizeihaft und einem Jahr Kerker verurteilt.

Nach ihrer Freilassung 1935 verbreitete Rosa Jochmann die illegale Arbeiter-Zeitung, organisierte Zusammenkünfte und half mit, den Kontakt zum Auslandsbüro der österreichischen Sozialdemokraten (ALÖS) in Brünn zu halten. Im August 1939 wurde sie von der Gestapo verhaftet und im März 1940 ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück deportiert, aus dem sie erst nach der Befreiung des Lagers durch russische Truppen heimkehrte.

1945 konnte sie nahtlos an ihre politische Tätigkeit vor 1934 anschließen: 1945 bis 1967 war sie Abgeordnete zum Nationalrat und Mitglied des SPÖ-Parteivorstandes, ab 1945 Frauen-Zentralsekretärin und von 1959 bis 1967 Vorsitzende der SPÖ-Frauen. Als Vorsitzende des Bundes der Sozialistischen Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus und Vizepräsidentin des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes erinnerte Rosa bis zu ihrem Tod am 28. Jänner 1994 in ihren Reden und Schuldiskussionen unermüdlich an den nationalsozialistischen Terror und warnte vor Vergessen und Verharmlosen.

Josef Gerl - So starb ein junger Sozialist

Einer der Teilnehmer an der Demonstration auf der Predigerstuhlwiese am 15. Juli 1934 war der junge Arbeiter Josef Gerl. Er musste mit ansehen, wie die jungen Sozialisten Fröhlich und Lehmann von der faschistischen „Ortswehr“ oder der Gendarmen erschossen wurden. Hans Fröhlich war ein persönlicher Freund von Gerl, mit dem er zusammen im „Victor Adler-Heim“ gearbeitet hatte

Für Josef Gerl handelte es sich um ein Erlebnis, das ihn aufwühlte. Er wurde nicht müde, zu erklären: „Diesen Mord an zwei Jugendfunktionären dürfen wir nicht tatenlos hinnehmen. Es gilt, zurück zu schlagen, Signale zu setzen, den Kampf gegen die faschistischen Mörder zu verschärfen, ihn härter, konsequenter als bisher zu führen“. Er besorgte sich Ammonitpatronen, mit denen er in der Nacht des 20. Juli 1934 mit seinen Freund Rudolf Anzböck einen Signalpfosten der Donauuferbahn sprengte. Die Sprengung richtete keinen großen Schaden an.

Als die beiden Männer einige Stunden später im Keplerpark von einem Polizisten angehalten wurden, zog Gerl eine Pistole und verletzte den Beamten mit zwei Schüssen schwer und wurde verhaftet. Gerl gestand seine Schuld und wurde am 24. Juli 1934 von einem Standgericht zum Tod verurteilt. Der Tschechoslowakische Gesandte Fierlinger wollte bei Kanzler Dollfuß und Kardinal Innitzer eine Begnadigung erwirken, beide ließen sich aber verleugnen. Josef Gerl wurde am 24. Juli 1934 um 20:20 Uhr gehenkt, Bundeskanzler Dollfuß hat ein Gnadengesuch und Interventionen abgelehnt. (Quelle: Josef Hindels: So starb ein junger Sozialist)

Rudolfine Muhr: Wir hatten mit der Untergrundarbeit keine Erfahrung

Nach dem Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei im Februar 1934 war Rudolfine Muhr in der illegalen Gewerkschaftsbewegung und bei den Revolutionären Sozialisten tätig, und wurde mehrmals – 1938 auch von der Gestapo – verhaftet. Rudolfine Muhr schildert im Interview die Kundgebung der Revolutionären Sozialisten auf der Predigerstuhlwiese in Kaltenleutgeben:

Ich war 1933 kurze Zeit arbeitslos, habe aber dann wieder einen Posten in der Metallindustrie bekommen. In diesem Betrieb habe ich fünf Jahre gearbeitet, aber nie einen Urlaub gekriegt, weil immer, bevor der Urlaub gekommen ist, wurde der Betrieb geschlossen. Dann sind wir wieder neu aufgenommen worden, allerdings ohne Urlaubsanspruch. [...]

Von 1934 an habe ich illegal gearbeitet, und zwar im Betrieb. Ich habe sehr viele Menschen gekannt, sehr viele Leute, Funktionäre - und mit denen war ich in Kontakt. Der Sinn unserer illegalen Arbeit war, in den Menschen das sozialistische Bewusstsein zu erhalten. Man konnte nicht so arbeiten wie früher. Es war auch gefährlich, denn immer wieder, wenn einer erwischt worden ist und er hat eine Arbeit gehabt, dann hat er seine Arbeit verloren. Hat er keine Arbeit gehabt, war das natürlich auch schlimm, denn der hat dann nie mehr die Arbeitslosenunterstützung bekommen. Ich habe auch am Aufbau der Sozialistischen Arbeiterhilfe mitgearbeitet. Wir mussten doch die Menschen, deren Vater oder Bruder oder Sohn verhaftet worden war, unterstützen. [...]

Wir hatten mit der Untergrundarbeit keine Erfahrung, wie wir eine illegale Widerstandsorganisation aufbauen und führen könnten. Wir machten viele Fehler. Zum Beispiel: Die erste illegale "Arbeiter-Zeitung" wurde mir zur Verteilung durch einen Genossen ins Haus gebracht. Auf dem Paket stand recht deutlich mein Name und meine Adresse. Zum Glück wurde der Bote nicht geschnappt. Sonst hätten er und auch ich eine Polizeistrafe bekommen und ich wäre bereits, ehe ich zu wirken begonnen hatte, polizeibekannt gewesen.

Am 15. Juli 1934 organisierten wir eine Kundgebung zum Gedenken an die Opfer des 15. Juli 1927. Im Wienerwald, auf der Predigerstuhlwiese, versammelten sich tausende Teilnehmer. In Gruppen marschierten sie durch den Wald zum Kundgebungsplatz. Viele Kundgebungsteilnehmer hatten Flugblätter und Streuzettel mit sozialistischen Parolen mit. Die Weisung war: "Beim Rückmarsch dieses Material streuen." Leider wurde damit zum Teil bereits vor der Kundgebung begonnen. Außerdem haben viele Frauen eine rote Weste oder ein rotes Tuch ziemlich auffällig in der Hand getragen.

Am Beginn der Versammlung standen Liesinger Jugendliche mit roten Fahnen und haben gesungen: "Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin." Dann hat Rosa Jochmann eine Gedenkrede gehalten. Kaum hatte sie die ersten Sätze gesagt, erschienen Sturmscharler in der Waldlichtung. Die Genossen Johann Fröhlich, Richard Lehmann und Reitmayer stellten sich gegen sie und schon krachten Schüsse. Die Sturmscharler verletzten Fröhlich und Lehmann tödlich, Reitmayer wurde schwer verletzt. Dieser furchtbare Ausklang der Kundgebung zeigte uns, dass solche Aktionen nicht mehr gemacht werden können.

Rudolfine Muhr (5.9.1900 – 26.10.1984), Metallarbeiterin. In der Betriebszellenarbeit der Revolutionären Sozialisten aktiv, zwischen 1934 und 1938 mehrmals verhaftet. Am 22. August 1939 neuerliche Festnahme, Haftentlassung im April 1940. 1945-1949 Wiener Gemeinderätin (SPÖ), 1949-1969 Bundesrätin, 1959-1963 Sekretärin des Bundesfrauenkomitees der SPÖ, stellvertretende Vorsitzende des Bundes Sozialistischer Freiheitskämpfer.

 

Stefanie Fahn: Das Lied der Arbeit

Stefanie Fahn, geb. Novotny, Jahrgang 1917, berichtet: „Bei einer Hausdurchsuchung in der Wohnung meiner Eltern wurde mir von meinen wenigen Habseligkeiten mein Lieblingsbuch weggenommen - „Lampen für China“ von Prof. Julius Tandler. Der Polizist blätterte darin und fand auf einem Zettel den Text „Lied der Arbeit“. Wütend über die Beschlagnahme rief ich: „Das können`s mitnehmen, ich kann`s eh auswendig!“

Stefanie, ein begabtes Kind aus armer Arbeiterfamilie, hatte mit 14 Jahren neben ihrer Lehre als Weißnäherin die „Falkenführerschule“ im 14. Wiener Bezirk besucht. Sie war glücklich, sich in diesem Rahmen weiterbilden zu können. „Nach dem Verbot unserer Organisation trafen sich die Roten Falken auf der Wasserwiese (auch Seewiese, Johnwiese oder Predigerstuhlwiese) bei Kaltenleutgeben. Es muss im Sommer 1936 (Anm. des Autors: 15. Juli 1934) gewesen sein, als ich Rosa Jochmann dort zum ersten Mal sprechen hörte. Nachdem sie erst wenige Sätze gesprochen hatte – sie war von vielen Menschen, die an der Kundgebung teilnahmen, umringt – hörte man Schüsse. Im Nu war die Wiese leer, wir flüchteten in den Wald. Geschossen wurde von Zivilisten, den sogenannten 140 „Fünfschillingmanderln“; das waren arbeitslose Männer, die von der Heimwehr bezahlt wurden.

 

Anhang:

 

Meldung der Gendarmerie Kaltenleutgeben vom 16. Juli 1934 (19340716_gendarmeriebericht_kaltenleutgeben.pdf)

Beschwerde des Evangelischen Oberkirchenrates vom 23. Juli 1934 19340723_beschwerde_evang_oberkirchenrat.pdf

15. Juli 1934: Protestversammlung auf der Predigerstuhlwiese

http://www.rosajochmann.at

www.geschichtewiki.wien.gv.at/Rosa_Jochmann

www.rotbewegt.at/#/epoche/1918-1933/artikel/rosa-jochmann

https://unserbezirkmoedling.at/sites/test.noe.spoe.at/files/geschichtearbeiterbewegung_druckversion_0.pdf

http://www.renner-institut.at/themen/frauen-und-gleichstellung/frauen-machen-geschichte/frauen-in-den-feburarkaempfen-1934/

http://www.rosajochmann.at/

http://www.rosajochmann.at/austrofaschismus

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Richard_Lehmann

http://othes.univie.ac.at/22757/1/2012-09-27_0248176.pdf

https://rotbewegt.at/files/pdf/SJ12Februar_Broschuere2004.pdf

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Revolution%C3%A4re_Sozialisten

https://rotbewegt.at/#/epoche/1933-1945/artikel/die-revolutionaren-sozialisten-osterreichs

https://hannesweninger.at/artikel/12-februar-1934-0

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