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2. Die ArbeiterInnen in der Revolution von 1848
"Es rettet uns kein höh'res Wesen, ..."
Revolutionen entstanden in der Geschichte der Neuzeit stets dadurch, dass die realen sozialen und ökonomischen Verhältnisse mit den formalen Machtstrukturen in einem Staat nicht mehr übereinstimmen.
In den Revolutionen des 19. Jahrhunderts bedeutete das zumeist, dass das Bürgertum bereits die wirtschaftlich dominierende gesellschaftliche Gruppe geworden war, der allerdings noch kaum Rechte und Mitsprachemöglichkeiten im Staat eingeräumt wurden. Der Adel als die privilegierte Oberschicht hatte längst seine gesellschaftlichen Funktionen verloren, seine Vorrechte aber behalten. (lesen) Bereits in der Französischen Revolution des Jahres 1789 waren Arbeiter gemeinsam mit Bürgern und Studenten auf den Barrikaden gestanden, um die Ideen von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" zu verteidigen.
Wie schon die Französische Revolution war auch die Revolution des Jahres 1848, die auch Österreich erfasste, eine zutiefst bürgerliche Revolution. Historisch gesehen ging es auch hier darum, dem Bürgertum im Staat jene Position zu erkämpfen, die es ökonomisch längst innehatte. Dies sollte vor allem durch das Erkämpfen einer Verfassung geschehen. Die Arbeiter kämpften in der Revolution von 1848 um eine politische Umgestaltung, allerdings noch ohne einer eigenständigen politische Linie. Zu groß war das Elend, zu elementar noch der Wunsch nach der Befriedigung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse, um tatsächlich längerfristige Ziele im Auge zu haben. Dennoch waren es die Arbeiter, die in den Vorstädten Wiens die flammenden Signale für alle Etappen der Revolution setzten.
Die Revolution, die im März Wien erfasste, brachte auch den Arbeitern für kurze Zeit größere Bewegungsfreiheit (Märzrevolution). Die Arbeiterschaft konnte Versammlungen abhalten, Vereine bilden, Zeitungen herausgeben und Forderungen an die Unternehmer stellen. Der Handwerksgeselle Friedrich Sander gründete nach der zweiten revolutionären Welle im Mai 1848 den „Ersten Allgemeinen Arbeiterverein", der allerdings nur von kurzer Lebensdauer war, da bald offenkundig wurde, wie tiefgreifend die Gegensätze von Bourgeoisie und Proletariat tatsächlich waren.
Nach der teilweisen Niederringung des gemeinsamen Feindes, der alten feudale Ordnung, traten diese Gegensätze offen zutage. Im August 1848 beschloss der bürgerliche Arbeitsminister in Wien eine Lohnkürzung der Erdarbeiter um 5 Kreuzer. Die Erdarbeiter, der wohl am besten organisierte Teil der jungen Arbeiterbewegung, veranstaltete daraufhin Protestdemonstrationen gegen den „5-Kreuzer-Minister“. Die revolutionäre Nationalgarde, die noch vor wenigen Wochen gemeinsam mit den Arbeitern auf den Barrikaden gestanden war, um die politischen Freiheiten zu erkämpfen, trieb die Demonstration auseinander.
Unter den Schüssen der Garde starben 22 Arbeiter und 300 wurden verwundet. Diese Aktion brachte den endgültigen Bruch zwischen Bürgertum und Proletariat. Die Einheit und Macht der revolutionären Kräfte des Jahres 1848 wurden so zerschlagen, und der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat war zum Ausbruch gekommen. Die Eroberung Wiens durch die Truppen des Kaisers beendete die ersten Gehversuche der österreichischen Arbeiterschaft und beseitigte alle Einrichtungen, die sich die Arbeiterklasse geschaffen hatte. Zwei Drittel der 360 Toten der Oktoberkämpfe in Wien waren Fabriksarbeiter.
Ein bleibendes Ergebnis der Revolution von 1848 war jedoch die Grundentlastung, die endgültige Befreiung der österreichischen Bauern. Damit erhielt die junge Industrie erst das Arbeitskräftereservoir, das einen Aufschwung ermöglichte. Die Revolution von 1848 hatte dem Liberalismus in Österreich auf wirtschaftlichem Gebiet zum Durchbruch verholfen. Die innerstaatlichen Zollschranken wurden beseitigt, das Transportwesen ausgebaut. Gerade der Bau von Eisenbahnen, der nicht nur den Transport verbilligte und beschleunigte, sondern die gesamte Schwerindustrie ankurbelte, führte in Österreich zu einem großen wirtschaftlichen Aufschwung in den frühen Fünfzigerjahren des 19. Jahrhunderts. Am Ende der Fünfzigerjahre geriet die österreichische Wirtschaft in eine Krise, die beinahe ein Jahrzehnt dauerte und erstmalig die Krisenanfälligkeit des kapitalistischen Systems dokumentierte. Die Vorstellungen des Liberalismus verhinderten wirkungsvolle Eingriffe des Staates und verlängerten die Depression.
1848 war auch das Erscheinungsjahr des „Kommunistischen Manifestes“ (mehr) von Karl Marx und Friedrich Engels. Damit war eine neue Etappe des Emanzipationskampfes der Arbeiter erreicht. Marx war während der Revolution von 1848 auch in Wien, blieb aber von den Arbeitern damals noch weitgehend unverstanden. Es wäre überhaupt falsch zu glauben, dass sich die Ideen von Karl Marx und Friedrich Engels sofort nach ihrer Entstehung unter der Arbeiterklasse verbreitet hätten. Der Marxismus blieb vielmehr durch Jahrzehnte nur eine von vielen Ideologien, die in heftigstem Wettstreit untereinander um die Vorherrschaft innerhalb der Arbeiterbewegung kämpften. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelang es dem Marxismus, die dominierende Theorie zu werden.
Dennoch erreichte der Sozialismus mit dem Auftreten von Marx und Engels eine qualitativ neue Stufe. Es gelang, die Phase der „leidenden Klasse“ zu beenden und selbstbewusst den Glauben an die historische Mission des Proletariats zu erkennen. Mit Marx und Engels begann die Geschichte des Proletariats als „Klasse für sich“, als offensive, selbstbewusste Bewegung.
Aber es gab neben dem Marxismus auch andere Theorien, die von Bedeutung waren und daher zumindest einer kurzen Betrachtung bedürfen. Es sind dies vor allem der Anarchismus und der Lassalleanismus.
Unter Anarchismus versteht man eine politische und ideologische Strömung, die jede staatliche und politische Organisation prinzipiell ablehnt. Er ist grundsätzlich gegen jeden politischen Kampf der Arbeiterklasse um die Staatsmacht. Besonders in den romanischen Ländern (Italien, Spanien, Frankreich) und in Lateinamerika erlangte der Anarchismus stärkeren Einfluss unter der Arbeiterbewegung. Als Hauptvertreter des Anarchismus ist Michail Bakunin anzusehen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Anarchismus zur Form des Anarchosyndikalismus. Dieser vertrat die Auffassung, dass die Gewerkschaften (Syndikate) durch einen Generalstreik der Arbeiter ohne Revolution den Kapitalismus stürzen, die Produktionsmittel vergesellschaften und die Verwaltung und Organisation der Produktion in ihre Hände nehmen könnten.
Der Lassalleanismus wurde besonders in Deutschland bedeutend. Ferdinand Lassalle, der Begründer des allgemeinen deutschen Arbeitervereines, der ersten Organisationsform der deutschen Arbeiter im Jahr 1863, stand philosophisch dem Idealismus nahe. Lassalle lehnte eine bürgerliche Revolution als historisch überholt ab. Daher war in seinem System auch kein Platz für das Bündnis von Arbeiterbewegung mit Bauern, Kleinbürgertum oder demokratischen Kräften der Bourgeoisie. Vielmehr stehe der Arbeiterklasse eine „einheitliche reaktionäre Masse“ gegenüber. Lassalle, im Gegensatz zu Marx und Engels, setzte große Hoffnungen auf den Staat. Der Staat sollte den Arbeitern Kredite gewähren, und diese würden damit Produktionsgenossenschaften gründen. Durch den Wegfall des Unternehmergewinnes könnten diese Produktionsgenossenschaften die Kapitalisten niederkonkurrieren.
Gerade der Lassalleanismus hat viel dazu beigetragen, dass dem Marxismus das Eindringen in die Arbeiterbewegung erleichtert wurde. Wer etwa das Prinzip von Lassalle kennengelernt hatte, dass dem Arbeiter sein „voller Arbeitsertrag“ vorenthalten bleibt, der konnte als nächsten Denkschritt leicht die Marxsche Theorie von Mehrwert und Ausbeutung erfassen. Auf diese Art und Weise haben alle konkurrierenden sozialistischen Ideologien durch ihre Begriffswelt und ihren Wortschatz das Eindringen des Marxismus in die Arbeiterschaft erleichtert. Man muss allerdings betonen, dass der Marxismus, der tatsächlich bis zur Basis der Arbeiterbewegung vordrang, ein grob vereinfachter Vulgärmarxismus war, aber das war nicht so entscheidend. Entscheidend war vielmehr, dass sich ein erheblicher Teil der Arbeiterschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Marxisten fühlte.
Literaturtipps:
Karl Marx/Friedrich Engels: Kommunistisches Manifest
Video: Karl Marx und das Kommunistische Manifest
Video: Manifest der kommunistischen Partei to go (Marx und Engels in 4,5 Minuten)
Video: Karl Marx - Marxismus und seine Philosophie (Doku Hörbuch)
zu Karl Marx:
Friedrich Ebert-Stiftung: Museum Karl Marx-Haus Trier
Landesausstellung Trier: "Karl Marx 1818-1883. Leben. Werk. Zeit.“ (Leseprobe hier)
Video: Universum History: Karl Marx und der Klassenkampf
Video: Der junge Karl Marx (Trailer, 2017)
Video: Karl Marx - Der revolutionäre Denker I Die industrielle Revolution
SPD - 200 Jahre Karl Marx - Happy birthday, Karl!
zu Friedrich Engels:
Historisches Zentrum Wuppertal: Friedrich Engels-Haus
Video: Friedrich Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse
Video: Friedrich Engels in Manchester
Video: Engels: Die Unternehmerfamilie aus Wuppertal-Barme
Lemo Berlin:Kurzbiographie Friedrich Engels
www.rosalux.de Broschüre "Sozialist werden"
zu Ferdinand Lassalle:
dasrotewien; Deutsches Historisches Museum Berlin; Lassalle-Kreis
1. DIE ZEIT DER INDUSTRIALISIERUNG
2. DIE ARBEITER_INNEN IN DER REVOLUTION 1848
3. DIE ORGANISATORISCHEN ANFÄNGE DER ARBEITERBEWEGUNG
4. DIE ARBEITERBEWEGUNG IM ZEITALTER DES IMPERIALISMUS
5. SOZIALDEMOKRATIE UND KOMMUNISMUS
6. DIE ARBEITERBEWEGUNG IN DER ERSTEN REPUBLIK