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1. Die Zeit der Industrialisierung
"Die Arbeit ist eine Ware, die ihr Besitzer, der Lohnarbeiter, an das Kapital verkauft."
Für den Übergang vom Zeitalter des Feudalismus zur Industriegesellschaft lässt sich kein exaktes Datum angeben. Die Entwicklung in den einzelnen Ländern war zu unterschiedlich und manche Staaten haben bis heute noch nicht alle Feudalstrukturen überwunden. Für Westeuropa kann man jedoch sagen, dass ab dem Ende des Dreißigjährigen Krieges (1618 - 1648) die Feudalstruktur durch frühkapitalistische Produktionsweisen aufgeweicht wurde.
Im Zeitalter des „Merkantilismus", wie man diese Epoche nennt, zeigte sich die frühkapitalistische Produktion in zwei Formen. Dies waren das „Verlagswesen" und die „Manufaktur". Im ländlichen Raum dominierte das Verlagswesen, vor allem auf dem Sektor der Textilindustrie. Ein „Verleger" brachte seine Rohstoffe oder Halbfertigprodukte zu Bauern, die als Nebenbroterwerb die Fertigprodukte herstellten. Rohstoffe und Fertigprodukte, meist auch die Maschinen, waren Besitz des Verlegers. Dieser konnte dadurch die Löhne willkürlich festsetzen. In der Stadt dominierte die Manufaktur, die sich langsam gegen die alteingesessenen Zünfte durchsetzten. Die Manufakturbetriebe sind als Vorläufer der heutigen Fabriken anzusehen. Sie vereinigten bereits in den Werkshallen große Mengen von Arbeitern. Der Prozess der Arbeitsteilung war jedoch nicht allzu weit vorgeschritten.
Die Industrielle Revolution im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts trieb den Prozess der gesellschaftlichen Arbeitsteilung jedoch zur Vollendung. Nun war das Individuum nur ein isolierter Funktionsträger, dem jeder Einblick in den Sinn des Gesamtprozesses der Arbeit verschlossen blieb und der strenger Weisungsgewalt unterstand. So entstand der Arbeiter jenes Typs, den wir bis zur Gegenwart kennen. Das Hauptunterscheidungsmerkmal des Arbeiters von Handwerkern und Bauern des Feudalismus bestand darin, dass er keine Arbeitsmittel mehr besaß. Die Arbeiterklasse ist damit die erste Gesellschaftsklasse der Geschichte, wenn wir von den Sklaven absehen, die ohne Werkstatt, ohne Grund und Boden, mit einem Wort ohne Arbeitswerkzeug ist.
Woher kamen nun diese Arbeiter und was haben sie früher gemacht? Das rasche Entstehen einer zahlenmäßig großen Gruppe von Arbeitern lässt sich nicht allein aus dem Bevölkerungswachstum, das mit dem Beginn des Kapitalismus rapid zunahm, erklären. Es mussten also Menschen, die früher einer anderen Gesellschaftsschicht angehört hatten, zur Arbeiterklasse stoßen. Dies waren in erster Linie Leute der Bauernschicht, wo Maßnahmen wie das „Bauernlegen", Einhegungen des Landes und neue Produktionsweisen in der Landwirtschaft den Lebensraum für weite Teile der Landbevölkerung einengten. Dazu kam die plebejische Unterschicht in den Städten, aber auch die zahlreichen Gesellen aus den Zünften, die wenig Aussicht besaßen, je Meister zu werden. Alle diese Menschen, die aus unterschiedlichsten Lebensbereichen und sozialen Verhältnissen kamen, bildeten nun langsam eine neue Klasse, die Arbeiterklasse. Ihr Eintritt in diese neue Klasse war aber nicht freiwillig erfolgt. Die geänderten ökonomischen Bedingungen boten ihnen in ihren alten Bereichen keine Existenzmöglichkeit mehr. Arbeiter zu werden, war somit eine Frage des Überlebens.
Arbeit wurde vor allem in den rasch wachsenden Städten geboten. Ein Massenzustrom von Arbeitern in die industriellen Vororte der großen Städte setzte daher ein. Das brachte grauenhafte Wohnverhältnisse mit sich. Dazu kam, dass es keineswegs gesichert war, dass man auch Arbeit finden konnte. Neue Maschinen waren zunehmend in der Lage, die Arbeitskraft der Menschen zu ersetzen. Vor allem aber reduzierten sie die Arbeit auf einfache, monotone Handgriffe, die nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen und Kindern ausgeführt werden konnten. Da man diesen noch wesentlich weniger Lohn als den Männern zahlte, nahm die Frauen- und Kinderarbeit rasch zu und die Arbeitslosigkeit der Männer wuchs beängstigend.
Dazu kam, dass die Lebensmittelpreise massiv stiegen. In Österreich konnte in der Zeit des Vormärz ein miserables Mittagessen für eine Familie nicht unter 30 Kreuzer hergestellt werden. Der Durchschnittslohn eines Wiener Arbeiters bei 12- bis 16-stündiger Arbeitsdauer pro Tag betrug jedoch nur 24 Kreuzer. Dazu kam, dass die Arbeiter infolge von Wirtschaftskrisen durchschnittlich drei Monate im Jahr arbeitslos waren. Es lässt sich daraus leicht errechnen, dass um überhaupt das Leben fristen zu können, auch Frauen und Kinder zur Arbeit gezwungen waren.
Diese materielle Situation, in der die Interessen der Arbeiter ausschließlich auf das nackte Überleben gerichtet sein mussten, machte es vielen nicht möglich, die Gesellschaft zu durchschauen und Theorien für die Überwindung der Verhältnisse zu entwickeln. So blieben die ersten Versuche, theoretische Überlegungen für eine Veränderung dieser Situation anzustreben, Angehörigen gehobener gesellschaftlicher Gruppen vorbehalten. Diese Vordenker, die das Elend der Arbeiter erkannten und Überlegungen zur Verbesserung anstellten, nennt man „utopische Sozialisten". In ihren Positionen waren sie sehr unterschiedlich, es ist ihnen aber gemeinsam, dass sie Politik für das Proletariat machen wollen, nicht jedoch glauben, dass die Arbeiterklasse selbst einen Beitrag zur Änderung leisten kann. Das Proletariat wurde als eine „leidende Klasse" angesehen, der von außen geholfen werden müsse.
Der utopische Sozialismus fand vor allem in Frankreich, aber auch in England und Deutschland Verbreitung. Als seine wichtigsten Vertreter sind anzusehen:
Francois Noel Babeuf: Er begründete mit seinen Ideen den Kommunismus als System der Gleichheit, da er die Frage der Verteilung in den Vordergrund rückte. Er erkannte auch die Bedeutung der Erziehung und betonte, dass die Unwissenheit der Armen erst deren Ausbeutung durch die Reichen ermögliche.
Henri de Saint-Simon begriff die Geschichte der Menschheit als auf die menschliche Vernunft gegründeten Fortschritt von einfachen zu vollkommenen Stufen der gesellschaftlichen Ordnung. In einer streng hierarchischen Ordnung gebühre der Wissenschaft der vorderste Platz. Seine Vorstellungen waren antidemokratisch, denn die Arbeiter sollten an der Schaffung dieser Gesellschaft nur passiv mitarbeiten, wohl aber deren Vorteile mitgenießen.
Charles Fourier schwebte eine Gesellschaft vor, in der die wirtschaftliche Anarchie und der Konkurrenzkampf durch genossenschaftliche Organisation der Gütererzeugung und -verteilung ersetzt werden. Diese Genossenschaften sollten sozial und ökonomisch, nicht aber politisch autonom sein.
Etienne Cabet, ausgezeichnet durch seine enge Beziehung zum Proletariat, erhoffte alle Änderungen durch Erziehung, Überzeugung und durch praktische Experimente zu erreichen. Er forderte die Abschaffung des Privateigentums und die Einführung gerechter Verteilungsprinzipien, jedoch ohne revolutionäre Aktionen.
Robert Owen, der bedeutendste englische Vertreter des utopischen Sozialismus, war in erster Linie Praktiker. Als Leiter einer Baumwollspinnerei in Schottland sah er das große Elend der Arbeiterklasse und bemühte sich um Veränderungen. Er verkürzte die Arbeitszeit, erhöhte die Löhne, verbot die Kinderarbeit, schuf Musterschulen und ist als Gründer der Konsumgenossenschaften anzusehen. Dabei gelang es ihm, eine steigende Rentabilität seines Unternehmens zu erreichen.
Wilhelm Weitling aus Deutschland erkannte im Privatbesitz an Produktionsmitteln die Ursache allen Übels. Er bejahte die Revolution und warnte vor kleinbürgerlichen Reformprogrammen. In der Organisation des „Bundes der Gerechten" versuchte er, seine Ideen umzusetzen.
Bedingt durch die schlechte soziale Lage fanden die Arbeiter im frühindustriellen Zeitalter nur sehr zögernd zu wirksamen Kampf- und Organisationsformen. Allerdings entwickelten sie sehr bald ein eher unbestimmtes „Klassengefühl", das seine Ursache darin hatte, dass hunderte Menschen in den Fabriken zusammengepfercht wurden und der gleichen scharfen Arbeitsdisziplin unterworfen waren. Auch außerhalb der Fabrik lebten die Arbeiter oft gemeinsam in den Slums der Vorstädte. Dieser enge Kontakt und das gemeinsame Elend stärkten das Gefühl der Zusammengehörigkeit.
Die ständige Furcht den Arbeitsplatz zu verlieren, wirkte sich jedoch hemmend auf den Schritt vom Klassengefühl zum Klassenbewusstsein und damit zur Organisation aus. Die große industrielle Reservearmee diente den Unternehmern als wirkungsvolles Instrument jede Form der Arbeiterorganisation zu unterbinden. Durch das gemeinsame Elend entwickelten die Arbeiter jedoch sehr bald das Bedürfnis nach gegenseitigem Beistand, um im Krankheitsfall nicht ohne jede materielle Basis dazustehen. So entstanden als erste Organisationsformen Hilfs- und Unterstützungskassen, deren Wirkung wegen der niedrigen Löhne jedoch äußerst beschränkt bleiben musste.
In Zeiten extremer Not, etwa bei entscheidenden Verteuerungen der Grundnahrungsmittel, kam es auch zu Verzweiflungsaktionen der Arbeiter. Ihr Widerstand erfolgte auch in Form von Zerstörung der Arbeitsstätten und der Maschinen. Man sah in der Maschine die Ursache für die große Arbeitslosigkeit, da eine Maschine in der Lage war, mehrere Arbeitskräfte zu ersetzen. Durch die Zerstörung der Maschinen hoffte man, die Arbeitsplätze erhalten zu können.
Literaturtipps:
Gerhard Hauptmann: Die Weber
Friedrich Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse in England
Viktor Adler: Die Lage der Ziegelarbeiter am Wienerberg
wohnpartner Team 10: Wien und die "Ziegelböhm" - Zur Alltagsgeschichte der Wienerberger ZiegelarbeiterInnen
Der Lehrerfreund: Arbeitsblatt "Arbeitsbedingungen im Zeitalter der Industrialisierung"
Friedrich Ebert-Stiftung: Ausbeutung und Massenelend
Schulvideos: »Die Soziale Frage« / Wie verlief die Industrielle Revolution? / Was ist die soziale Frage? / Was war die soziale Frage?
1. DIE ZEIT DER INDUSTRIALISIERUNG
2. DIE ARBEITER_INNEN IN DER REVOLUTION 1848
3. DIE ORGANISATORISCHEN ANFÄNGE DER ARBEITERBEWEGUNG
4. DIE ARBEITERBEWEGUNG IM ZEITALTER DES IMPERIALISMUS
5. SOZIALDEMOKRATIE UND KOMMUNISMUS
6. DIE ARBEITERBEWEGUNG IN DER ERSTEN REPUBLIK